Full text: Die Propheten (6)

überzuMllen, um zu erkennen, wie stark trotz Mes Weizens und Weins 
die Phantasie der Judäer dauernd durch das Hirtenleben bestimm: 
war. Dem Israeliten Gideon erscheint im Traum Israel als der 
Gerstenbrotkuchen, der die Zelte der Midianiter umstürzt; der Judäer 
dichtete auch nach seiner Ansiedlung die Sagen von Jakob, dein Hirte». 
Gideon klopfte seines Vaters Weizen, als er berufen ward, für Jahwe 
und Israel zu kämpfen; Saul brachte seines Vaters Ochsen vom Felde 
heim oder ging, seines Vaters Eselinnen zu suchen. Der junge David 
aber weidete für seinen Vater die Schafe und Ziegen im Gebirge und 
kämpfte mit Löwen und Bären. Das Verbrechen Ahabs war die Ent 
eignung des Bauern Rabat. In der judäischen Parallelgeschichte über 
David braucht der Prophet Nathan das Beispiel von dein Mann, der 
hundert Schafe besaß und nahiii doch das des Armen, der nur dieses 
eine sein eigen nannte. In dem Unterschied der Sagen spiegelt sich die 
Verschiedenheit der sozialen Zustände in Juda und Israel wider. 
Dieselben Zustände, wie im südlichen Juda, haben aber auch im 
Ostjordanland bestanden. Auch hier ist der unansässige Hirt zwischen 
den Bauern niemals völlig verschwunden. Und in dieser Gegend, in 
Thisbe in Gilead, ist Elia geboren. Die beiden ältesten Wortführer 
und Vorkämpfer der unteren Klassen sind also aus Gegenden gekommen, 
in denen der schweifende Hirt, der stolz auf den ackerbcbauenden Bauern 
herabblickte, noch täglich zu sehen war. Sowohl Elia aus Thisbe aus 
dem Ostjordanland wie Jonadab, der Kainit, aus den: südlichen Juda 
waren nicht in Zuständen aufgewachsen, in denen die bäuerliche Kultur 
eine Selbstverständlichkeit war. Ans sich selbst heraus hätten jene israe 
litischen Kleinbauern, denen der „Mensch," gleichbedeutend mit Bauer 
war, vielleicht kein neues soziales Ideal zu entfalten vermocht. Wohl 
aber waren sie fähig, das ihnen von außen zugetragene Ideal deS 
Hirtenlebens und damit des altertümlichen Jahwe-Glaubens zu fassen, 
das ja auch ihrer eigenen Vergangenheit entsprach. 
In dieser Ausbildung eines neuen sozialen Ideals liegt die große 
Bedeutung begründet, die vornehmlich die südstämnie ans dem Land 
Juda für die israelitische Religionsgeschichte erlangten. Niemals ent 
steht ja eine bewußte soziale Bewegung nur aus dem sozialen Elend und 
Druck an sich, in dem die Leute leben. Dann niüßte jeweils das größte 
Elend die stärkste Energie der Gegenbewegung ergeben, eine Folgerung, 
die durch die Erfahrung aller Jahrhunderte widerlegt wird. Erst wenn 
zu dem sozialen Elend an sich das Bewußtsein hinzukommt, daß es nicht 
so fein dürfte, nicht so zu sein brauchte, erst dann entsteht aus Elend 
und Not eine neue geschichtliche Kraft. Das war das Große an Jonadab 
und Elia, daß sie den versinkenden Kleinbauern ein anderes Ideal 
zeigen konnten, und daß daraus erst die bewußte Opposition, das be 
wußte Umdenken aller gegebenen Gedanken entsprang. 
Die Frömmigkeit der Geduld. 
Der glückliche Zufall, der uns jene Notiz über Jonadab ben Rekab 
erhielt, hilft uns auch andere Tatsachen zu verstehen, die wir ohne daS 
eben nur als Tatsachen hätten hinnehmen müssen. Er zeigt, wie durch 
persönliche Vermittelung einzelner führender Männer die Anschauungen 
der Stämme aus deni Süden Judas auch im Kleinbauerntum von 
Israel Einfluß gewannen. Und das ist eben das. was wir für die Ge-
	        
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