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Aber der Dichter dieses Romans hat die Kunst, die er tu der Schule,
altisraelitischer Hof-Historiker gelernt hat, in den Dienst der neuen
Gedanken der unteren Klassen gestellt und damit sowohl jene Kunst
wie auch diese Gedanken weit über sich selbst hinausgehoben. Lein
Joseph ist für die ganze Weltliteratur der Vertreter des stummen
Duldens und des belohnten Vertrauens geworden. Hier zum ersten
Male tritt, wenn auch noch nicht im Wort, so doch schon in der Sache
der Begriff des Glaubens oder des Gottvcrtrauens hervor. Joseph tut
selbst nichts, sein armseliges Los zu. wenden, aber er ist gehorsam,
fleißig, beliebt bei allen Vorgesetzten und wartet, bis Jahwe sein
Schicksal zum Besseren führt. Und gerade der wartende Gehorsam wird
durch Jahwes Segen überreichlich belohnt. Hier hat die Religion
völlig aufgehört, Kultus, Opfer, Sitte und Brauch zu fein. Hier ist
sie, von allem Aeußeren losgelöst, ein inneres Leben geworden, eine
ständige Stimmung, ein Gefühl, das das ganze alltägliche Leben be
herrscht und unter einen höheren, unHassenderen Gesichtspunkt stellt.
Dieser Joseph bringt keine Opfer, besucht keinen Altar, betet kaum
ausdrücklich; aber auch im fremden Land und unter fremden Göttern
weih er es nicht anders, ist es ihm selbstverständlicher Instinkt, daß
er Jahwe treu ist und auf Jahwes Schutz wartet.
Es ist eine Tatsache von unermeßlicher Bedeutung, daß im Rahmen
der israelitischen Religionsentwickelung die unteren Klassen es waren,
die diese Wendung der Religion vom Kultus zum inneren Leben zum
ersten Male erlebt haben. In anderen Religionen mag es teilweise
anders gewesen sein. Hier aber, wo diese Wendung die größte welt
geschichtliche Bedeutung gewann, liegt es klar auf der Hand, daß die
Gefühle der unteren Klaffen zu ihr geführt haben. Die Not des Lebens,
die immer ärger ivard, schuf als Ideal das Bild des Sklaven, der zur
höchsten Ehre gelangt. Keine herrschende Klasse würde je ihren Ltainm-
vater und Ahnherrn in dieser Rolle gedacht, würde den altioraelitischen
Recken, dessen Grab eine Kultusstätte bei Sicheiu war, in den duldenden
Jüngling umzudichten vermocht haben, der stumm alles Elend und alle
Gewalttat erträgt. Die große Wendung der Religion, die in dieser llm-
denkung liegt, ist der Ertrag, den die Not und die Opposition dieser
unteren Klassen für die Weltgeschichte gehabt hat.
Man kann durchaus auf dem Standpunkt stehen, daß diese
Frönimigkeit des stillen Vertrauens nicht für alle Zeit den Gipfel der
Religionsgeschichte bedeutet. ES ist die Stimmung, aus der die Un
tätigkeit, die Zufriedenheit auch mit der niedrigsten Lage, die Abkehr
von aller positiven Kulturarbeit entsprang. Trotzdem bleibt bestehen,
daß sie für ihre Zeit und für diese Kreise ein unermeßlicher Fortschritt
war. Es gab einfach kein positives Programm, das ihnen Besserung
ihrer Lage hätte verschaffen können. Die Parole der Rekabiten war
eine Utopie, der wohl einzelne folgen konnten, die für die Masse aber
nichts vermochte. Die Revolution des Jehu hat ebenfalls nichts genützt:
sie hat eine neue Dynastie an die Stelle einer alten gesetzt; alle sozialen
Zustände, alle Not durch Beamte, Steuern, Verschuldung und äußere
Kriege hat sie unangetastet bestehen lassen. Ja, es kamen sogar gerade
jetzt einige Jahrzehnte stärkster Gefahr und völliger Ausplünderung
durch die siegreichen Könige von Damaskus. Was sollte man noch be
ginnen, wenn selbst die Revolution so ganz in ihr Gegenteil umgeschlagen
war! Der leidende Gehorsam, das stille Dulden, Hoffen und Ver
trauen auf Jahwe war das einzige Mittel, diese zermürbten Armen vor
gänzlicher Verzweiflung zu schützen. Wenn keine irdische Hilfe möglich