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Die Elia-Legenden.
Neben dem Joseph-Roman und den beiden Sagensammlungen hat
das Jahrhundert nach Ahab noch eine Gruppe von Dichtungen entstehen
lassen, in denen sich ebenfalls die neue Religion einen Ansdruck ge
schaffen hat. und die zum Teil zu denn Größten gehören, was die
israelitische Literatur überhaupt kennt. Das sind die Legenden, die sich
an Elia und Elisa anschlössen, und die heute den mittleren Teil der
Bücher der Könige bilden, (l, 47 bis l l, 8.) Daß es sämtlich, mit Aus
nahme der Nabot-Geschichte, Legenden, das heißt spätere Dichtungen
sind, geht schon daraus hervor, daß sie sämtlich voraussetzen, Ahab sei
von Jahwe abgefallen, habe sämtliche Jahwe-Propheten außer Elia er
schlagen lassen, >uid das Volk sei ebenfalls ganz zum Baalkultus über
gegangen, Tie echte geschichtliche Literatur über Ahab (1. Könige 20
und 22) zeigt, daß das eine Verzerrung der wirklichen Geschichte ist,
Also können alle diese Geschichten nicht als Berichte über wirklich erlebte
Vorgänge gelten.
Müssen sie demnach zeitlich ziemlich weit von der Zeit abstehen, von
der sie handeln, so können sie andererseits auch nicht jünger als etwa
das Buch des Elohisten sein. Sie ahnen noch nichts von der assyrischen
Gefahr, die seit etwa 765 über Israel schwebte, und noch weniger von
der Weiterbildung der Religion, die sich unter ihrem Eindruck in
Männern wie Ainos und Hosea entwickelt hat. So sind auch sie ein
Zeugnis für die Gedankenentwickelung, die in den rund achtzig Jahren
zwischen der Revolution des Jchu und dem Auftreten des Anros (von
842 bis rund /6ö vor Christus) vor sich gegangen ist.
Zum Teil sind die Elia- und Elisa-Legenden allerdings phan
tastische Volksphantasien, die nur zur Befriedigung der Neugier allerlei
wunderbare Anekdoten von deir beiden Propheten berichten: Tote werden
erweckt, Feuer vom Himmel erbeten, Bären aus dem Walde gegen die
Spötter gerufen und ähnliches mehr. Freilich ist auch den meisten dieser
Geschichten der soziale Zug nicht fremd: Die arme Witwe, der die Pro
pheten durch die Hungersnot helfen, die Speisung von 400 Mann durch
20 kleine Gerstenbrotstücke, die Wiedererlangung der verlorenen Axt
des armen Holzhackers und anderes mehr. Alle diese Geschichten haben
in sich keinen Wert: in ihrer Gesamtheit aber zeigen sie deutlich, in
welchen sozialen Schichten wir uns auch bei diesen Legenden wieder be
wegen.
Daneben aber gibt es zwei große Elia-Legenden, die mit über
wältigender Kraft die innersten Tiefen der neuen Religion offenbaren,
sind die darum beide mit Recht zur Weltliteratur zählen. Das eine
ist die schon erwähnte Erzählung vom Müdewerden des Helden und
von dem Trost, daß Jahwe nicht im Gewitter, sondern im linden
Säuseln erscheine: die andere ist das großartige Gottesgericht aus dem
Karmel, das der eine Elia den 460 Baalpriestern bietet, und an dessen
Ende er sie sämtlich dem Jahwe als Opfer schlachtet, (1, Könige 49
linb 48.)
Die erstere Geschichte beiveist, wie weit das innere Leben in diesem
Kreise auch über den Joseph-Roman hinaus schon fortgeschritten ist. Sie
kennt nicht nur treues Festhalten an Jahwe und Glaube, sondern auch
die echt-menschliche Stimmung: „Es ist genug! Nimm nunmehr,
Jahwe, mein Leben hin. Ich bin ja nicht besser als meine Väter," So
kann nur gedichtet haben, wer selbst die Verzagtheit und Ermüdung
bei sich und anderen erlebt hat. Es ist die Enttäuschung, die etwa die