Full text: Die Propheten (6)

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lind Üefes Volk, das solche Dinge tut, geht zu den Altären Jahwes, 
feiert in rauschender Freude die schönen Feste, bringt Opfer in Masse 
und denkt Wunder wie fromm es sei, und wie sein Gott ihm doch 
gnädig sein müsse. Da packt den Propheten der Ekel und in groß 
artigem Aufschwung bildet er den Gedanken: Jahwe verwirft, verachtet 
eure Opfer und Feste! „Ich hasse, ich verachte eure Feste; ich kann 
eure Festverfaimnlungeu nicht erriechen. Auch eure Opfer sehe ich 
nicht, eure Mastkälber und eure Gaben will ich nicht haben. Hinweg 
von mir mit dem Geplärre eurer Lieder; das Rauschen eurer Harfen 
mag ich nicht hören. Laßt vielmehr Recht sprudeln wie Wasser und 
Gerechtigkeit wie einen nimmerversiegenden Bach," so läßt er Jahwe zu 
den Opfernden und Feiernden sprechen. (5, 21—24.) Fragt nicht nach 
Bethel oder Gilgal oder Beerseba oder Dan; fragt nicht nach all den 
Jahwe-Heiligtümern im Lande. Die werden zerstört und geschändet 
werden und können euch nicht helfen. Fragt nach Jahwe; fragt nach 
dem Guten und nicht nach dem Bösen. Hasset das Böse und liebet das 
Gnte; schafft Gerechtigkeit im Gericht. Vielleicht wird dann Jühive 
sich der Trümmer von Jakob erbarmen. (5, 4—15.) 
Es ist die wuchtigste Formulierung der neuen Religion, die wir 
kennen, Opfer, Heiligtümer, der ganze Kultus bricht in sich zusammen. 
Kultus und Gottesdienst ohne Gerechtigkeit und Liebe zum Guten sind 
Heuchelei; und wenn Gerechtigkeit und Sittlichkeit da ist, braucht es 
keiner Opfer und keines Kultus. In der schönen Zeit der ersten Liebe, 
in den vierzig Jahren in der Wüste, hat's keine Opfer und keine Altäre 
gegeben. (5, 25.) Der ganze „Gottesdienst", wie das Volk ihn kannte, 
ist schon eine Verfälschung der ursprünglichen Religion. 
Es liegt auf der Hand, wie stark diese Gedanken des Ainos sich von 
allen unterscheiden, was man in seinen Kreisen bisher gesagt hatte. 
Auch die Lewiten hatten den bestehenden Kultus gehaßt und bekämpft, 
hatten den Stier von Bethel und den Baal von Tyrus verspottet. Aber 
sie hatten richtige Opfer an die Stelle wertloser setzen wollen. Ihre 
Religion war imnier noch formell eine Religion bestimmter heiliger 
Handlungen, heiliger Orte und heiliger Zeiten. Anros hat damit grund 
sätzlich aufgeräumt. Religion ist ihm, daß man den Armen nicht drückt, 
daß man iiu Gericht das Recht walten läßt und nicht das Ansehen der 
Person oder gar das Geld der Bestechung, und daß man in großen 
Stunden dem heißen Drang der inneren Stimme gehorcht, ohne ängst 
lich an die Gefahren für Leib und Leben zu denken. Alles andere ist 
ihm wertloser Tand oder Abscheu erweckende Heuchelei. 
Damit hat die Religion der Proletarier ihren in Israel höchsten 
Gipfel erstiegen. Lie hat den heißen Instinkt, der in den Armen und 
Vergewaltigten lebte, zum reinsten und größten Ausdruck gebracht. 
Dieser Gott ist ganz sittlich geworden. Er fragt nicht nach Rasse, Nation 
oder Wohnort; er fragt nicht nach Opfern oder Gebeten. Er fragt nur 
nach dem, was dem Selbsterhaltungstrieb des schutzlosen Armen daS 
wichtigste ist: nach Recht und Gerechtigkeit und nach Unterdrückung aller 
Gewalt. Mit diesem Maße werden alle. Völker gemessen, die Amos 
kennt, und verurteilt. Ob ihre Gewalttaten gegen Israel oder gegen 
einander gerichtet waren, das gilt ihm gleich: die Moabiter sollen ver 
nichtet werden, weil sie die Gebeine des Königs von Edom zu Kalk ver 
brannt haben, die Philister und die Phönizier, weil sic Sklaven aller 
Art an die edomitischen Sklavenhändler zu verkaufen gewohnt waren. 
Das Gesetz Jahwes ist nichts anderes als das allgemein menschliche Ge 
fühl für Recht und Barmherzigkeit. Israels Vorzug ist nur, daß es —
	        
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