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lind Üefes Volk, das solche Dinge tut, geht zu den Altären Jahwes,
feiert in rauschender Freude die schönen Feste, bringt Opfer in Masse
und denkt Wunder wie fromm es sei, und wie sein Gott ihm doch
gnädig sein müsse. Da packt den Propheten der Ekel und in groß
artigem Aufschwung bildet er den Gedanken: Jahwe verwirft, verachtet
eure Opfer und Feste! „Ich hasse, ich verachte eure Feste; ich kann
eure Festverfaimnlungeu nicht erriechen. Auch eure Opfer sehe ich
nicht, eure Mastkälber und eure Gaben will ich nicht haben. Hinweg
von mir mit dem Geplärre eurer Lieder; das Rauschen eurer Harfen
mag ich nicht hören. Laßt vielmehr Recht sprudeln wie Wasser und
Gerechtigkeit wie einen nimmerversiegenden Bach," so läßt er Jahwe zu
den Opfernden und Feiernden sprechen. (5, 21—24.) Fragt nicht nach
Bethel oder Gilgal oder Beerseba oder Dan; fragt nicht nach all den
Jahwe-Heiligtümern im Lande. Die werden zerstört und geschändet
werden und können euch nicht helfen. Fragt nach Jahwe; fragt nach
dem Guten und nicht nach dem Bösen. Hasset das Böse und liebet das
Gnte; schafft Gerechtigkeit im Gericht. Vielleicht wird dann Jühive
sich der Trümmer von Jakob erbarmen. (5, 4—15.)
Es ist die wuchtigste Formulierung der neuen Religion, die wir
kennen, Opfer, Heiligtümer, der ganze Kultus bricht in sich zusammen.
Kultus und Gottesdienst ohne Gerechtigkeit und Liebe zum Guten sind
Heuchelei; und wenn Gerechtigkeit und Sittlichkeit da ist, braucht es
keiner Opfer und keines Kultus. In der schönen Zeit der ersten Liebe,
in den vierzig Jahren in der Wüste, hat's keine Opfer und keine Altäre
gegeben. (5, 25.) Der ganze „Gottesdienst", wie das Volk ihn kannte,
ist schon eine Verfälschung der ursprünglichen Religion.
Es liegt auf der Hand, wie stark diese Gedanken des Ainos sich von
allen unterscheiden, was man in seinen Kreisen bisher gesagt hatte.
Auch die Lewiten hatten den bestehenden Kultus gehaßt und bekämpft,
hatten den Stier von Bethel und den Baal von Tyrus verspottet. Aber
sie hatten richtige Opfer an die Stelle wertloser setzen wollen. Ihre
Religion war imnier noch formell eine Religion bestimmter heiliger
Handlungen, heiliger Orte und heiliger Zeiten. Anros hat damit grund
sätzlich aufgeräumt. Religion ist ihm, daß man den Armen nicht drückt,
daß man iiu Gericht das Recht walten läßt und nicht das Ansehen der
Person oder gar das Geld der Bestechung, und daß man in großen
Stunden dem heißen Drang der inneren Stimme gehorcht, ohne ängst
lich an die Gefahren für Leib und Leben zu denken. Alles andere ist
ihm wertloser Tand oder Abscheu erweckende Heuchelei.
Damit hat die Religion der Proletarier ihren in Israel höchsten
Gipfel erstiegen. Lie hat den heißen Instinkt, der in den Armen und
Vergewaltigten lebte, zum reinsten und größten Ausdruck gebracht.
Dieser Gott ist ganz sittlich geworden. Er fragt nicht nach Rasse, Nation
oder Wohnort; er fragt nicht nach Opfern oder Gebeten. Er fragt nur
nach dem, was dem Selbsterhaltungstrieb des schutzlosen Armen daS
wichtigste ist: nach Recht und Gerechtigkeit und nach Unterdrückung aller
Gewalt. Mit diesem Maße werden alle. Völker gemessen, die Amos
kennt, und verurteilt. Ob ihre Gewalttaten gegen Israel oder gegen
einander gerichtet waren, das gilt ihm gleich: die Moabiter sollen ver
nichtet werden, weil sie die Gebeine des Königs von Edom zu Kalk ver
brannt haben, die Philister und die Phönizier, weil sic Sklaven aller
Art an die edomitischen Sklavenhändler zu verkaufen gewohnt waren.
Das Gesetz Jahwes ist nichts anderes als das allgemein menschliche Ge
fühl für Recht und Barmherzigkeit. Israels Vorzug ist nur, daß es —