Full text: Die Propheten (6)

nach diesem Gesetz am meisten bestraft wird! „Euch allein habe ich be 
obachtet von allen Geschlechtern des Erdbodens; an euch drum will ich 
strafen all eure Frevel!" (3, 2.) Es ist die rückhaltlose und absolut 
konsequente Formulierung einer rein sittlichen, allgemein menschlichen 
Weltreligion. 
Diese Religion, die Opfer, Altäre und Festtage verschmähte, war 
auch nicht mehr an den Priester gebunden. Der Instinkt der Ver 
gewaltigten und das durch ihn erschütterte Gewissen der Herrschenden 
allein genüMr, um zu entscheiden, was Recht und Gerechtigkeit ist. Da 
mit war freilich in der Konsequenz auch jenen Bundesgenossen der Prole 
tarier, den lewitischen Priestern, das Urteil gesprochen. Sie hatten an 
Stelle des üblichen Kultus beu richtigen Kultns setzen, hatten andere 
Priestersippen verdrängen und selbst an ihrer Stelle die Herrschaft an 
treten wollen. Ergriff dieser tiefste Gedanke des Amos wirklich die 
Massen, so war cs mit diesem ihrem Anspruch vorbei. Die Bundes 
genossenschaft zwischen Proletariern und Priestern war zerbrochen, so 
bald das proletarische Gefühl seinen absolut sicheren und zutreffenden 
Ausdruck gefunden hatte. 
Aber die lewitischen Priester waren sofort zur Stelle, um solch 
einen Bruch zu verhindern, ttnd sie haben verstanden, trotz aller An 
erkennung, die sie Amos entgegenbrachten, seine Gedanken doch so um 
zubiegen, daß ihre Priesterherrschaft gerade durch sie um so un- 
erschütterter feststand. Es war das Verhängnis der ganzen Bewegung, 
daß die Proletarier in ihrer Masse von altcrerbten Vorstellungen noch 
nicht frei genug waren, um diese Demagogie der Priester zu sehen. 
Hosea. 
Man pflegt den Propheten Hosea gewöhnlich mit Amos in einen: 
Atem zu nennen, uichr nur, weil sie ungefähr Zeitgenossen waren (die 
jüngsten Stücke des Hosea, die sich datieren lassen, beziehen sich auf Er 
eignisse des Jahres 735 vor Christus), auch nicht nur, weil sich Hosea 
auf Schritt und Tritr, in Wortlaut und Gedanken von Amos abhängig 
zeigt, sondern vor allem, weil inan meint, sie böten tatsächlich nur die 
selben Gedanken. Das aber ist, wenn man näher zusieht, ein großer 
Irrtum. Beide reden wohl ,von der Verbannung des Volkes aus 
Kanaan: aber jeder denkt dabei an etwas anWres: Amos spricht von 
der endgültigen Vernichtung, Hosea von Läuterung und schlicßlichcr 
Wiederherstellung der Israeliten. Amos denkt als Wund für die 
Strafe an die sozialen Gewalttaten, Hosea spricht nur oder fast nur 
vom kultischen Abfall von Jahwe und dementsprechend anch nur von 
der Wiederherstellung des richtigen Kultris. 
Hosea hat das Verhalten Israels zu Jahwe am liebsten unter dem 
Bilde des Ehebruchs dargestellt. Israel wird als eine Frau geschildert, 
die in der Zeit der ersten Liebe, bei der Wanderung durch die Wüste, 
dem neuvermählten Gatten Liebe und Treue hielt; aber kaum war sie in 
Kanaan seßhaft geworden, da dachte sie' ich will meinen Liebhabern 
nachgehen, die mir Brot und Wasser, Wolle und Flachs, Del und Ge 
tränke geben, lind sie ging hin, statt Jahwes die Baale zu verehren 
oder wenigstens Jahwe mit dem Worte „Mein Baal" zu begrüßen. 
(Hosea 1 und 2.) Das ist die Sünde, das der „Abfall", den Jahwe nun 
mit Verbannung straft. 
Biblische Geschichten. VI. 
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