nach diesem Gesetz am meisten bestraft wird! „Euch allein habe ich be
obachtet von allen Geschlechtern des Erdbodens; an euch drum will ich
strafen all eure Frevel!" (3, 2.) Es ist die rückhaltlose und absolut
konsequente Formulierung einer rein sittlichen, allgemein menschlichen
Weltreligion.
Diese Religion, die Opfer, Altäre und Festtage verschmähte, war
auch nicht mehr an den Priester gebunden. Der Instinkt der Ver
gewaltigten und das durch ihn erschütterte Gewissen der Herrschenden
allein genüMr, um zu entscheiden, was Recht und Gerechtigkeit ist. Da
mit war freilich in der Konsequenz auch jenen Bundesgenossen der Prole
tarier, den lewitischen Priestern, das Urteil gesprochen. Sie hatten an
Stelle des üblichen Kultus beu richtigen Kultns setzen, hatten andere
Priestersippen verdrängen und selbst an ihrer Stelle die Herrschaft an
treten wollen. Ergriff dieser tiefste Gedanke des Amos wirklich die
Massen, so war cs mit diesem ihrem Anspruch vorbei. Die Bundes
genossenschaft zwischen Proletariern und Priestern war zerbrochen, so
bald das proletarische Gefühl seinen absolut sicheren und zutreffenden
Ausdruck gefunden hatte.
Aber die lewitischen Priester waren sofort zur Stelle, um solch
einen Bruch zu verhindern, ttnd sie haben verstanden, trotz aller An
erkennung, die sie Amos entgegenbrachten, seine Gedanken doch so um
zubiegen, daß ihre Priesterherrschaft gerade durch sie um so un-
erschütterter feststand. Es war das Verhängnis der ganzen Bewegung,
daß die Proletarier in ihrer Masse von altcrerbten Vorstellungen noch
nicht frei genug waren, um diese Demagogie der Priester zu sehen.
Hosea.
Man pflegt den Propheten Hosea gewöhnlich mit Amos in einen:
Atem zu nennen, uichr nur, weil sie ungefähr Zeitgenossen waren (die
jüngsten Stücke des Hosea, die sich datieren lassen, beziehen sich auf Er
eignisse des Jahres 735 vor Christus), auch nicht nur, weil sich Hosea
auf Schritt und Tritr, in Wortlaut und Gedanken von Amos abhängig
zeigt, sondern vor allem, weil inan meint, sie böten tatsächlich nur die
selben Gedanken. Das aber ist, wenn man näher zusieht, ein großer
Irrtum. Beide reden wohl ,von der Verbannung des Volkes aus
Kanaan: aber jeder denkt dabei an etwas anWres: Amos spricht von
der endgültigen Vernichtung, Hosea von Läuterung und schlicßlichcr
Wiederherstellung der Israeliten. Amos denkt als Wund für die
Strafe an die sozialen Gewalttaten, Hosea spricht nur oder fast nur
vom kultischen Abfall von Jahwe und dementsprechend anch nur von
der Wiederherstellung des richtigen Kultris.
Hosea hat das Verhalten Israels zu Jahwe am liebsten unter dem
Bilde des Ehebruchs dargestellt. Israel wird als eine Frau geschildert,
die in der Zeit der ersten Liebe, bei der Wanderung durch die Wüste,
dem neuvermählten Gatten Liebe und Treue hielt; aber kaum war sie in
Kanaan seßhaft geworden, da dachte sie' ich will meinen Liebhabern
nachgehen, die mir Brot und Wasser, Wolle und Flachs, Del und Ge
tränke geben, lind sie ging hin, statt Jahwes die Baale zu verehren
oder wenigstens Jahwe mit dem Worte „Mein Baal" zu begrüßen.
(Hosea 1 und 2.) Das ist die Sünde, das der „Abfall", den Jahwe nun
mit Verbannung straft.
Biblische Geschichten. VI.
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