In diesem Sinne finden wir bei ihm zum ersten Male die drei
Stücke bereinigt, die die grundlegenden Sätze der spezifisch jüdischen
Frömmigkeit sind: Das untätige Dulden und Nichtwiderstreben dem
Uebel, das inbrünstige Hoffen auf die absolut übernatürlich gedachte
Errettung "und die Vorstellung, durch Liebe und Treue zu Jahwe, das
heißt: durch die pünktliche Beobachtung seiner Zeremonien und Bräuche,
die Errettmig und die selige Eudzeit schneller herbeiführen zu können.
Erst bei Hosea, erst in der Verbrämung des Priesters, ist die Empörung
der israelitischen Proletarier-Propheten zur Keimzelle der jüdischen
Religion gelrordeu.
Jesaja.
Es ist Jute ein Gesetz, daß im Fluß der proletarischen Bewegung
in Israel immer ein echter Verkünder rein proletarischen Empfindens
und ein Priester sich abwechselnd folgen sollten. Dem Joseph-Roman
folgten die lewitischen Schriftsteller Jahwist und Elobist; auf Amos
folgte Hosea. Dessen jüngerer Zeitgenosse Jesaja zeigt trotz aller deut
lich spürbaren Nachahmung des Hosea doch wieder die echt proletarische
Note. Und doch hat gerade er der endgültigen Verpriesterung der Be
wegung die Wege vollends geebnet.
Jesajas Auftreten begann im Jahre 740 vor Christus, also zu einer
Zeit, wo Hosea noch kräftig im Reden und Schriftstellern war. Amos
scheint zu dieser Zeit schon nicht mehr gelebt zu haben. Obgleich er, Jute
Jesaja, Judäer war, zeigt dieser doch kaum eine deutliche Spur davon,
daß er seine Lieder kennt. Hoseas Einfluß dagegen verrät sich in den
Jugendliedern Jesajas beinahe in jedem Wort. Man kann ans ihm
lernen, Jute schnell es dem Priester gelungen ist, den echten Propheten
im Bewußtsein der Zeitgeuossett zu verdrätigeu.
Jesajas Jugeudlitzder gehen gegen Inda und Jerusalem ebensogut
wie gegen Israel und Samaria. Er geißelt den Hochmut und stolz,
die Einführung fremder Kulte, den Besitz von Rossen und Wagen, von
Silber und Gold, den Schmuck und das tänzelnde Kokettieren der vor
nehmen Frauen, die Bündnisse mit den Weltmächten Aegypten oder
Assyrien, und mancherlei Einzelnes mehr. Aber am liebsten spricht er
doch von den sozialen Sünden; und hier findet er die gewaltigsten
Worte. Noch schärfer als Amos greift er die Beamten und Herrschenden
selbst an: sie haben den Weinberg Jahwes abgeJveidet, haben das Volk
zerschlagen, der Raub der Armen ist in ihren Häusern (3, 13—15);
Witwen und Waisen habe:: sie im Gericht vergewaltigt; sie nehmen
Bestechung und lassen bett Armen sein Recht nicht finden. (1, 21—26;
3, 1—9. 12.) „Wehe denen, die Hans an Hans rücken, Gut an Gut
reihen, bis kein Raum mehr ist, und ihr allein als Grundbesitzer noch
Bürgerrecht habt im Lande." (5, 8.) Tod, Vernichtung unö Ver
bannung stellt er für all diese Frevel jn Aussicht: Jerusalem soll Wüste
werden, Volk und Obere sollen in die Wüste zurückwandern (man kann
Hoseas Einfluß mit Händen greifen!); aber ein Rest soll dann gerettet
werden! (7, 3.)
In dem allen zeigt sich wohl eine starke dichterische Begabung und
ein warmes soziales Gefühl, echter als bei seinem Lehrmeister Hosea.
Aber etwas Neues, für die Entwickelung neue Bahnen Weisendes, bieten
diese Lieder noch nicht. Da kommt eine Woche voll leidenschaftlichen
geschichtlichen Lebens, und sie gibt dem Denken des Propheten eine
neue Bahn.