Full text: Die Propheten (6)

Das Unheil, von dem er seit Fahren geredet, naht wirklich heran. 
Tie Könige von Israel und Damaskus haben sich gegen Inda ver 
bündet. Mit erstickender Uebermacht brechen sie in das kleine Land ein. 
Eine Palastrevolution im Innern scheint ihnen zu Hilfe zu kommen. 
Ter König tut in der höchsten Not, was Pflicht und Klugheit ihm ge 
bieten: er stellt sich unter den Schutz der Assyrer und zieht gegen 
Tribut ihre Hilfe heran. 
In diesen wild-erregten Tagen erlebte Jesaja die erste echt- 
prophetische Uebcrwältignng durch einen neuen Gedanken. Er sagt selbst, 
daß eine unsichtbare Hand ihn gepackt hielt und ihn zurechtwies, nicht 
zu gehen auf dem Wege dieses Volkes da (8, 11): Jahwe werde die 
beiden feindlichen Könige selber zerschmettern, Jahwe allein, ohne mensch 
liche Hilfe. Diesen neuen, mit körperlicher Wucht ihn überfallenden 
Gedanken hat Jcsasa dann Auge in Auge dem König gegenüber ver 
treten — natürlich ohne Erfolg! Der König hielt die wild-übcr- 
sthwenunenden Wogen des Euphrat für stärker als die. sacht-sprndeln- 
den Wasser der Tempelgnelle siloa (8, 8) und rettete durch Unter 
werfung unter die Assyrer Krone und Leben. 
Für Jesaja war das die Stunde, in der seine Weissagung eine 
grundsätzliche Aenderung erfuhr. Tod und Vernichtung waren ihm bis 
dahin dogmatische Gedanken gewesen, die er den Vorgängern entnommen 
und dichterisch verwendet hatte. Jetzt zum ersten Male war der furchtbare 
Ernst der Wirklichkeit vor den Propheten getreten. Und Jesaja hatte 
nicht die Kraft, mit der Unerbittlichkeit eines Amos zu sagen: Jetzt ist 
das Ende da! Sei es, daß ein Rest von Vaterland- und Heimat- 
gefühl ihn zurückhielt, sei es, daß Israel und Damaskus ihm doch als 
gar zu erbärmliche Werkzeuge für Jahwes Weltkatastrophe erschienen: 
er datiert den Untergang auf eine spätere Zeit und sagt: jetzt kommt er 
noch nicht! 
Aber er blieb doch ganz in der Gedankenwelt seiner Vorgänger 
hängen, wenn er das eine Dogma durch das andere ersetzte, daß Jahwe 
seinem Volke jede menschlich-natürliche, diplomatische oder politische 
Schutzmaßregel verbiete. Der Glaube allein soll es machen. Ter 
Glaube — hier begegnet zu in ersten Male auch das Wort, das von nun 
an das Kennwort der mit dein Uebernatürlichcn rechnenden Religion 
werden sollte: „Glaubet ihr nicht, so bleibet ihr nicht!" (7, 9.) Erschreckt 
von der furchtbaren Wirklichkeit der Gefahr flieht diese Religion nur 
immer tiefer in phantastische Illusionen hinein. Die Posaunen voir 
Jericho werdeii grundsätzlich das Vorbild uiid die Richtschnur auch für 
die Politik. 
Natürlich konnte ein verantwortlicher Staatslenker und Feldherr 
nach dieser Religion nicht handeln, weder damals noch irgendwann in 
der Welt. Kehrte die Religion dieser Propheten sich ab von allen 
natürlichen Bedingungen des wirklichen menschlichen Lebens, so mußten 
auch die, die im wirklichen Leben standen, den Forderungen dieser 
Religion immer von neuem widersprechen. Jesaja konnte von seinem 
Standpunkt aus diesen Widerspruch nicht anders wie als Unglauben 
nnd Abfall verstehen. Aber was ihn am furchtbarsten traf, das war die 
Erkenntnis, daß der König recht hatte, und daß er gerade durch seinen 
„Abfall" von Jahwe Tempel nnd Ltadt vor den Feinden gerettet hatte. 
Mußte das nicht die ganze Gelbstsicherheit des Jesaja erschüttern? 
Er hat sich mit dem Gedanken getröstet, daß Jahwe sein Angesichl 
verborgen habe, und daß deshalb Strafe für den Abfall und Recht 
fertigung des Propheten der Zukunft anheimgestellt werden müßten.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.