Full text: Die Propheten (6)

Öl 
gefeiert. Zauberei, Totenbeschwörnng, Wahrsageknnst und ähnlicher 
iLpnk nahm überhand. Und in den herrschenden Klassen der Hauptstadt 
wandte man sich immer mehr der Verehrung der großen Götter des 
assyrischen Weltreichs zu. Ter König Manasse führt offiziell den Kultus 
der babylonischen Jsthar ein, der Himmelskönigin, wie sie nach 
assyrischem Vorbild im Alten Testament genannt wird, „@r verehrte 
das ganze Heer des Himmels und diente ihnen." Auch der Sonne hat 
er Altäre errichtet und Sonnen-Pferde in den Tempel gestellt. „Auch 
vergoß er viel unschuldiges Blut, bis er Jerusalem bis oben Damit 
angefüllt hatte." (2. Könige 21.) M scheint, daß er mit Gewalt ver 
sucht hat, das Volk von Jahwe weg zu den assyrischen Göttern git führen. 
So verständlich eine solche Wendung in den obern: Klassen auch 
ist, so wenig konnte sie im Interesse der königlichen Priester gelegen 
sein, die den Jahwe-Tempel zu verwalten hatten. Ihnen mußte das 
ganze Gebaren sowohl in den unteren wie in beu oberen Kreisen 
als Greuel vor Jahwe erscheinen, als Entweihung des Heiligen Bodens 
und zugleich als Vernichtung ihres eigenen Einflusses und ihres Er 
lverbs. Religiöse und materielle Gründe zugleich mußten sie dazu 
bringen, den Versuch zu wagen, nach oben wie unten den Jahwe-Kültns 
und den Jahwe-Tempel erneut zur Geltung zu bringen. 
Welcher Art dieser Versuch war, lvie er ihnen gelang, und lvie 
sie mit einem Schlage alle uralten Heiligtümer im Lande und alle neu- 
eingesührten frembeit Götter zerstört haben, darüber haben wir früher 
gesprochen. Die große Kultusresorm des Jahres 623 vor Christus ist 
das erste große Ereignis, von dem wir hinter dein Jähre 701 wieder 
hören. Es ist der große Moment, in. dem die lewitisch-proletarische 
Bewegung nach jahrhundertelangem Kampfe nun endlich zuni Siege 
kommt, aber zum Siege kommt nur dadurch, daß sie ihr echtes Wesen 
verliert und zum Werkzeug für die Herrschaft der königlichen Priester 
am Tempel ans dem Zion wird. 
Wir erinnern uns, lvie alle Züge der großen Bewegung im Tempel 
gesetz von 623 vereinigt fiub, aber alle in charakteristisch verzerrter 
Gestalt. Die Ablehnung der bäuerlichen Kultur erscheint in der Form, 
daß Israel seit der Niederlassung Jahwe verraten und sich all die 
Banerngötter des Landes verloren habe. Das ist der Hosea-Gedanke, 
und er begegnet auch fast in den Worteir dieses Propheten. Tie soziale 
Sympathie mit den unteren Klassen tritt stark hervor. Aber sie ist rein 
phantastisch und äußert sich in Gesetzen, die absolut undurchführbar sind 
(Ruhe der Steifer im siebenten Jahr! Erlaßjahr! Rückgabe des Pfan 
des am Abend!). Zudem spannt sie Den proletarischen Instinkt in 
den Gedanken, daß alles soziale Elend nur Folge des Abfalls von 
Jahwe, das heißt, eine Wirkung des falschen Kultus sei. Auch das 
kennen wir schon ans beut Elohisten und ans Hosea. Aber so leiden 
schaftlich, so aufreizend, so auch in der Form demagogisch wie hier, ward 
der Gedanke bisher doch noch nirgend vertreten. 
Vielleicht hatten die Priester aus ernsthaften Widerstand der herr 
schenden Klassen oder der Bauern gerechnet. Sie hatten durch jene 
lltopistereien die Proletarier der Städte ans ihre Seite zu bringen ver 
sucht, und hatten auch den Lewiten den Köder hingeworfen. Laß sie 
zum Zion kommen und dort Priester sein dürsten. Aber der Sieg ward 
ihnen leicht. Durch die geschickte Art, wie sie das „Gesetzbuch des Mose" 
bei einer baulichen Reparatur im Tempel „gesunden" werden ließen, 
haben sie den König und seine Minister ganz überrumpelt. Sie er 
hielten die ungeteilte Macht und brauchten die Bundesgenossen nicht
	        
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