58
mehr. Sie haben sie Leim auch gründlich verraten. Die Lewiten wurden
vom Priestertum ferngehalten und in der Folge zu Tempeldienern
herabgedrückt. Und an die Freilassung der judäischen Sklaven im
jeweils siebenten Jahr hat dreißig Jahre hindurch nach dem Zeugnis
des Jeremia kein Mensch gedacht.
Eins aber muß man den Priestern des Zion lassen: sie haben
durch ihre Reform das Nationalgefühl des Volkes noch einmal zu un
geheuerer Energie entflammt! Freilich haben sie damit tatsächlich nur
den Untergang des Staates und die Verpflanzung oder Flucht des
beträchtlichsten Teils der Judäer erreicht. Trotzdem bleibt es ein
sympathisches Bild, daß dieser winzig kleine Gebirgsstaat in der
nivellierenden Kultur der Weltstaaten nicht nntergehen wollte. Es gibt
geschichtliche Momente, wo der Fortschritt darin besteht, daß ein Welt
reich die Nationalstaaten zertritt, und wo doch alle persönliche Größe bei
den untergehenden Kämpfern für die nationaleSelbständigkeit liegt. De
mosthenes in Athen gegenüber Philipp von Makedonien; die Buren
republik gegenüber dem englischen Weltreich im Anfang dieses Jahr
hunderts. Manche Erscheinung aus dem letzten Menschenalter des ju-
däischen Staates erinnert an solche. Momente.
Untergang des judäischen Staates.
Gegen Ende des siebenten Jahrhunderts brach die assyrische Macht
in sich selber zusammen. Unter chaldäischer Führung erhob sich da?
alte Babylon zu neuer Größe. Den Moment, wo das eine Weltreich
schon tot, und das andere noch schwach war, benutzte Aegypten, um
die solange verlorene Vorherrschaft in Vorderasien wiederzugewinnen.
Da trat ihm der König von Juda in den Weg. Die Kultusreform
hatte ihn und sein Volk mutig gemacht. Seit sie Jahwes Verheißung
int Heiligen Buche schwarz auf weiß vor sich hatten, seit sie gewiß waren,
den richtigen, von Mose selbst offenbarten Kultus zu üben, waren sie
sicher, daß Jahwes Schutz ihnen nicht fehlen konnte. Natürlich siegten
die Aegypter; der König verlor sein Leben; sein Sohn ward tribut
pflichtiger Vasall des Königs von Aegypten. (608 vor Christus.)
Vier Jahre später unterlag Aegypten dem neuen babylonischen
Reich. Mit den übrigen Vasallenstaaten wechselte auch Juda den Herrn.
Aber der Freiheitsgeist war in dem mutigen Bergvölkchen noch nicht
erstickt. Wenige Jahre später empörte es sich. Der babylonische König
Nebukadnezar erschien persönlich an der «spitze eines gewaltigen Heeres.
Natürlich unterlag das kleine Volk. Der König Jechonja übergab die
Stadt, bevor sie erstürmt wurde, Er selbst, sein ganzer Hofhält, der
ganze Adel und alle wehrfähigen Männer — es waren etwa acht
tausend— wurden nach Babylonien transportiert. Der Rest des Volkes
sollte, unter Zedekia als König, babylonischer Vasallenstaat tu seiner
Heimat bleiben. (597 vor Christus.)
Aber wieder durchbrach die Freiheitsliebe, durch die religiöse Sicher
heit unterstützt, alle Dämme der Üeberlegung und der Vernunft. Jahwes
Tempel, Jahwes Heiliger Berg konnten nicht untergehen; Jahwe müßte
sich erheben und sein verpflanztes Volk befreien. In Jerusalem sprangen
Propheten aus, von Babylonien aus schürten die rückkehr-sehnsüchtigen
Verpflanzten. Es kam 31t einem Bündnis mit allen benachbarten
kleineren Staaten und mit Aegypten. Und wieder siegte die babylonische
Weltmacht. Fast zwei Jahre hielt Jerusalem stand. Die Wut der
Verteidiger war aufs höchste entflammt. Sie drohten Tod jedem, der