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seines Volkes gestanden. Einen Erfolg hat er in seinem ganzen Leben
nicht gesehen. Sein Anfang war eine Wiederholung der Gedanken, die
wir aus Hosea und Jesaja kennen: Klagen über die Baalsdienste und
über die Rechtlosigkeit und Gewalttat im Volk. Sein Fortgang war
Kampf gegen die, die mit der Knltusreform alles getan glaubten und'
nun ans Jahwes Segen pochen wollten. Sein Ende war heißes Be
mühen, die Unterwerfung unter die Babylonier den Freiheitsräsenden
einleuchtend zu machen als das einzige Mittel, den Bestand der Nation
und des Tempels zu sichern. Zwanzig Jahre hat er vom Untergang
dogmatisch geredet. Und als dieser in furchtbarer Wirklichkeit näher
kam, bat er wieder fast 20 Jahre mit sehendem Auge das Volk gewarnt,
sich nicht dem Freiheitstaumel zu überlassen. Klüger und standhafter
als Jesaja, hat er bis zur letzten Minute gesagt, das; gerade ans dem
Wege, den jeuer zuletzt eingeschlagen hatte, der Untergang nur uni so
sicherer erfolgen müsse.
Er hat die Vereinzelung, in der er staub, und die Not ewig erfolg
loser Predigt gefühlt wie kein Zweiter im ganzen Alten Testament.
„Verflucht der Tag, der mich geboren! Warum nur mußte ich kommen
aus Mutterschoße, Mühsal ltnb Leid zu sehen, in Schmach zu enden!
(20, 14—18.) Ich kann's nicht mehr aushalten, kann's nicht ertragen;
denn viele hörte ich gegen mich zischeln! (20, 9—10.) Unheilbar ist
mein Kummer, das Herz ist krank mir. O, daß mein Haupt und Auge
in Tränen zerflösse, um Tag und Nacht zu beweinen des Volkes Durch
bohrte. (8, 18—22.) Dir locktest mich; ich ließ mich locken (zu Jahwe
gesagt). Du ergriffst mich und siegtest. Und nun werd' ich verlacht
beständig, mein spotten alle. Red' ich, so muß ich „Unbill und Gewalttat"
schreien. Und doch trägt beständig mein Reden mir Schimpf und Hohn
ein. Doch dacht' ich, es aufzugeben, nicht mehr zu reden, so war's wie
ein glühend Feuer, ein Brand im Gebein." (20, 7—9.) Trotz Erfolg
losigkeit und Verfolgung treibt ihn die innere Glut, immer wieder; zu
reden, brennt das unterdrückte Wort wie Feuer in seinem Innern. Das
ist das Ueberwältigtsein von der Wucht großer Gefühle, das in der
ganzen Entwickelung der Religion ihre sicherste Realität und ihr blei
bendes Wesen ist.
In der Zeit des heißesten Kanrpfes hat er seinem Volk als Ver
räter und als Ueberläufer zu den Babyloniern gegolten. Mit Halseisen
mrd Stock, mit Gefangenschaft und Verhungern haben sie ihn gestraft.
Und von ihrem Standpunkt aus ganz mit Recht! „Dieser Mann sollte
getötet werden; denn er macht ja die Hände der Kriegsleute schlaff, die
noch in der Stadt sind, und die Hände der ganzen Bevölkerung, wenn
er solche Worte zu ihnen redet. Dieser Mann sinntnicht auf Wohl für
das Volk, sondern auf Unheil." (Jcremia 38, I.) Eine kämpfende
Festung kann eben keinen Jeremia in ihrer Mitte ertragen. Aber ebenso
sicher ist, daß die Geschichte in diesem Falle dem Propheten und nicht
den von Priestern fanatisierten Soldaten recht gab.
Das Ende seines Lebens war dunkel und ohne Hoffnung. Jene
nach Aegypten flüchtenden Scharen zwangen ihn und seinen Freund
Barnch. mit ihnen zu gehen — gegen seinen Willen, und doch ohne
auf seine Stimme zu hören. Jenes Wort über die Rückkehr zur
Himmelskönigin ist an ihn gerichtet. Es zeigt, daß er auch in den
letzten Jähren auf seine Umgebung-ganz ohne Einfluß blieb.
Am Ende des Buches des Baruch steht ein Wort, das Jcremia
ihm persönlich als Trost und Stärkung gesagt hat. Auf Baruchs Klage,
daß all sein (Baruchs) Leben nur Leid sei und Stöhnen, hat der Pro-