asbolschewistischeExperiment
,stb.
Die soziale Glieds “ Rußlands.
Um den politischen und sozialen Verlauf der russischen Revolution
zu verstehen, um sowohl die verwegenen und verzweifelten Entschlüsse
des Bolschewismus, wie die sich ihm entgegenstenimenden ungeheuren
Widerstände zu begreifen, ist es notwendig, sich die soziale Schichtung
Rußlands beim Ausbruch der Revolution zu vergegenwärtigen.
Nach der marxistischen Auffassung, die bis zu dem bolschewisti
schen Versuch, den Kommunismus in Rußland einzuführen, in sozia
listischen Kreisen unbestritten war, bestand die erste Voraussetzung für
den Uebergang zum Sozialismus in einem Reifegrad der kapitalisti
schen Entwicklung, der das Proletariat seiner Zahl, seiner Organi
sation und seiner Schulung nach zur Uebernahme der politischen
Macht befähigte. In England und in Deutschland ist das industrielle
Proletariat bereits zur Mehrheit der Bevölkerung geworden; in Ruß
land bildete es im Jahre 1917 noch eine verschwindende Minderheit.
Die weitaus überwiegende Mehrheit der russischen Bevölkerung war
ländlich, nicht städtisch. Nach Angaben Organowskis betrug die Stadt-
bevölkerung im Jahre 1913 nur rund 30 Millionen, die ländliche Be
völkerung dagegen 140 Millionen. Die Landbevölkerung bildete also
82, die städtische Bevölkerung nur 18 Prozent der Volksgesamtheit.
Für Kernrußland stellte sich nach den Angaben des Zentralen Statisti
schen Komitees das Verhältnis für die Stadtbevölkerung noch un
günstiger. Denn danach entfielen von 128 864 000 Einwohnern ans
die Städte nur 18 590 000 Personen.
Nicht die Proletarier, sondern die Bauern bildeten also bei
Revolutionsausbruch die ungeheure Mehrheit des russischen Volkes.
Kein Wunder, daß die Revolution letzten Endes nicht von der Ideo
logie des Bolschewismus, sondern von den Bedürfnissen der Bauern
bestimmt wurde.
Daß die Bauern überhaupt dem revolutionären Gedanken zu
gänglich waren und mit dem russischen Proletariat gemeinsame Sache
machten, lag an ihren trostlosen Existenzbedingungen, ihrem rasenden
Landhunger. Durch das Gesetz vom 19. Februar 1861 war zwar die
Leibeigenschaft aufgehoben, aber die Eigentumsfrage keineswegs in
befriedigender Weise gelöst worden. Die Bauern hatten nur ganz
unzureichende Landanteile erhalten, wofür sie obendrein dem Guts-
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