Full text: Der Umsturz im Reichstag

von der Kommission geschlossenen Zollsätze herabgesetzt wurden. Unterzeichnet 
war der Antrag von den Reichsparteilern Stockmann und Tiedemann, 
den Zentrnmsmän,nern Gröber, Herold, Spahn und Speck, den Nationalliberalen 
Vassermann, Paasche, Sattler und dem Konscrvatwcv Graf Limburg-StiruM. 
Die Ehre, dem Antrage den Namen zu geben, war Herrn b. Kardorff, 
als dem ersten Unterzeichner, von den Zolltvucherern willig überlassen worden. 
Einen Würdigeren hätten sie nicht gut finden können. Es giebt in der Geschichte 
der deutschen Volksvertretung keinen parlamentarischen Gcwaltstrcich, der mit dem 
Namen des Herrn v. Kardorff nicht auf das Engste verknüpft wäre, Er begann 
seine Wirksamkeit in der Gründerära als parlamentarischer Kommis des Bank 
hauses Bleichröder. Bei der Laurahütte und anderen faulen Gründungen war 
er betheiligt. Dabei füllte er sich die Taschen. Das hat er selber ohne Umschweife 
zugestanden, denn er gehört zu der offenherzigen Sorte. Es dürfte ziemlich 
bekannt sein, schrieb er in den 70er Jahren, als LaSker seinen Feldzug gegen die 
konservativen Gründer eröffnete, an den Abgeordneten Träger, „dnß 
ich mich an industriellen Unternehmungen nicht bcthciligt habe, um Schätze zu 
sammeln, sondern lediglich um mir zu ermöglichen, ohne Vermögcnsverluste meine 
parlamentarische Thätigkeit wahrzunehmen." Und wie rentabel diese „Be 
theiligung" war, zeigte die Thatsache, das; die schwindelhafte Laurahütte 1SV1/72 
an ihren Aufsichtsrath 63 000 Thaler Tantieme zahlte, 1873 und 1874 je 
200 000 Thaler. Die Hibernia und Shamrock-Gesellschaft zahlte 1873 24 000 
Thaler, 1874 18 000 Thaler. 'Die „Rcichs-Eiscnbahnbau-Gcscllschaft" zahlte 
1873 an ihren Aufsichtsrath aus öen Zinsen ihres Aktienkapitals 
80 000 Thaler Dividende. Und bei all' diesen Gesellschaften figurirte Herr 
v. Kardorff als G r ü n d e r u n d A u f s i ch t s r a t h s m i t g I i c d. Und in 
dieser Sorge, „ohne Vermögensverluste seine parlamentarische Thätigkeit wahr- 
zunehmcn", ist er nie erlahmt, bis zuletzt noch, als er, in Ehren grau geworden, 
die Panzcrplattcnfabrikanten Krupp und Stumm, die als echte Patrioten den 
Staat um Millionen übertheuerten, unter seinen Schutz nahm. So war er denn 
in der That lvie geschaffen zum Fahnenträger in dem großen Zollraubzuge. 
Der Zweck des Antrages Kardorff lag klar auf der Hand- Es handelte sich, wie 
Bebel sich gleich darauf kurz und treffend ausdrückte, um eine Guillotinirung 
der Tarifberathung. Die Mehrheit hatte sich inzwischen unter sich und mit der 
Regierung geeinigt. Aber unfähig, ihre faulen Jagdliebhaber von Mitgliedern 
einige Wochen lang zusammenzuhalten, war sie zu dem Entschluß gekommen, 
durch einen Gewaltstrcich die Berathung nicht sowohl zu beschleunigen, als viel 
mehr zu hindern. Zu diesem Zweck sollten die beinahe 1000 Positionen des 
Zolltarifs in einer einzigen Berathung erledigt und der einen dicken Band 
füllende Ricsentarif in einen Absatz eines einzigen Paragraphen des Tarifgesetzcs 
gepreßt werden. Kurzum, Herr von Kardorff sagte in der ihm eigenen brutalen 
Offenheit die Wahrheit, als er von girier en bloc - Annähme des Tarifs sprach. 
Daß der klare § 19 der Gechäfts-Ordnung einem derartigen Verfahren hindernd 
im Wege stand, kehrte die Mehrheit wenig. Warum nicht noch nach den Para 
graphen 35 und 83 auch den Paragraphen 19 zur Strecke bringen? Auf ein 
paar Gcschäfts-Ordnungs-Trümmer mehr oder weniger kam es ja der Zoll 
wuchermehrheit bei ihrer wilden Hetzjagd nicht an. 
Die Elemente dieser Mehrheit traten in dem Antrag Kardorff, in seinem 
Inhalte wie in der Zusammensetzung seiner Unterzeichner, deutlich genug zu 
Tage. Den „opportunistischen Konservativen", die durch Graf Limburg-Stirum 
vertreten waren, war das Kompromiß durch die Herabsetzung der Zölle auf land- 
wirthschaftliche Geräthc schmackhafter gemacht worden. Die Nationalliberalen 
waren endlich aus ihrer heuchlerischen Reserve herausgetreten und hatten sich 
offen zur ungeschminkten Gewaltpolitik bekannt.
	        
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