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einer festen Knebelmasse zusammen, die von Liebermann Bis Bassermann reicht {
und in dem Zentrumsjuristen Spahn ihr Haupt und ihr Orakel findet. Die
Zöllnergruppen begraben das bisher zum Schein geschwungene Kriegsbeil und . |
handhaben in völliger Einmüthigkeit das Henkerbeil der rücksichtslosesten Schluß- ,
antrüge. Die Geschäftsordnung wird bereits ganz offen vergewaltigt. Herr
Richter leistet Beistand.
Zwischen dem zweiten und dem dritten Theil schiebt sich ein kleines s.
humoristisches Zwischenspiel ein, das man „Die Zöllner auf der
Fasanenjagd" überschreiben könnte. Der Reichstag ist dauernd beschluß- s-j
llnfähig. Die Mehrheit laßt die Linke reden, um inzwischen durch ihre Führer
zum formellen Abschluß mit der Regierung zu gelangen.
Der dritte Theil endlich umfaßt den Umsturz der Geschäftsordnung und die
Proklamation des Tarifgesetzes. Er beginnt am 27. November, erreicht seinen
Höhepunkt am 2. Dezember, dem Tag der Staatsstreiche und endet um 5» Uhr-
früh am 14. Dezember 1902. Negierung und Zollmehrheit haben sich geeinigt, +
beide unter Bruch ihrer feierlichen Erklärungen. Als Erzeugnis; dieser Ver
ständigung erscheint der Antrag Kardorsf, der unter offener Verhöhnung
der Geschäftsordnung eine Enbloe-Annahme des Tausend-Positionen-Tarifs ver
langt. Nach furchtbaren Kämpfen wird dieser.Antrag am 2. Dezember für zu- j
lässig erklärt. Trotzdem vermag die Scharfmachermehrheit ihr Werk nicht eher
zu Ende zu führen, als bis sie am 9. Dezember eine neue Verstümmelung der
Geschäftsordnung erzwungen und die Willkür des Präsidenten an Stelle des
Rechts gesetzt hat. Nunmehr erst krönt sie unter dem Segen der Regierung in
der Riesensitzung vom 13. und 14. Dezember ihr Werk und bringt das Tarif- '
Gesetz in dritter Lesung zu Stande.
Sehen wir uns nun die Einzelheiten etwas näher an.
Schon in den langwierigen Kommissions-Verhandlungen hatte die Mehrheit
den Grundsatz aufgestellt, daß sie allein das Recht auf unbeschränkte Redefreiheit
genösse und hatte dem Gebrauch zuwider, der in Kommissions-Verhandlungen!
keine Schlußanträge kennt, mit solchen gearbeitet, wenn es galt, die unbequeme
Opposition mundtodt zu machen. Durch allzu große Brutalität hatte sich Herr
von Kardorff, der ursprüngliche Leiter der Kommissions-Verhandlungen, bald so
unmöglich gemacht, daß ihn seine Freunde nicht zu halten wagten und er seinen
Posten hatte niederlegen müssen. Unter Leitung des ungeschickten Herrn Rettich
waren dann im Spätsommer die' Kommissions-Verhandlungen zum Abschluß ge
brächt ivorden. Am 14. Oktober 1902 trat der Reichstag wieder zusammen.
Ungefähr der vierte Theil der Abgeordneten, war erschienen. Es standen ja blos
Positionen auf der Tagesordnung, die die nur auf Zollwucher bedachte Mehrheit
wenig kümmerten.
Am 15. Oktober gelangte die sozialdemokratische Interpellation über die
Arbeitslosigkeit zur Beratung. Die Zolltarifdebatte warf bereits ihre Schatten
voraus. Das Zentrum kündete seinen Anspruch auf die Führung der Zoll-
wucherer in der Form an, daß sein Häuptling, Herr Tr. Bachem, die unwahre
Behauptung aufstellte, die Sozialdemokraten hätten in der Zollkommission für die
Zollf'reiheit von Hummer, Austern, Kaviar und Champignons gestimmt. Mit
dieser von Stadthagen und Molkenbuhr sofort angenagelten Lüge erwarb sich Herr
Dr, Bachem die Anwartschaft auf eine hervorragende Führerstelle im bevor
stehenden Zollkampf. Auf die Tagesordnung der folgenden Sitzung iourde sofort
die zweite Lesung des Zolltarifs gesetzt, während die sozialdemokratische Fraktion
die Fortsetzung der Besprechung ihrer Interpellation über die Arbeitslosigkeit
verlangte. Die Wuchergier der Mehrheit duldete eben keinen Aufschub. Die
freisinnige Bvlkspartei stimmte mit der Mehrheit und gegen den sozialdemo
kratischen Vorschlag: ein Vorspiel künftiger Thaten.