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Wilmersdorfer mal, sozusagen, zur Ansicht kommen
zu lassen!"
„Na ja," meinte Frau Fanny schon um ein Er
hebliches milder, „aber, gelinde gesagt, wäre das doch
noch zum mindesten recht verfrüht."
„Ach Gott, Fannutschka, ich weiß nicht. Aber mir
kommt's vor, die beiden da unten rechnen zu viel,
und darüber wird auch die heißeste Liebe kalt!"
„Ja, nicht wahr? Hätten mit raschem Entschluß
hineinspringen sollen, es wär' schon gegangen. Und
heute erst hab' ich's ihr wieder gesagt, entweder man
hat sich lieb, auch für Pellkartoffeln und Hering,
oder gar nicht! Aber dieses Hin- und Hergezerge,
dieses Augesthmachte mit nachfolgendem Rechenexempel,
ah, und fast hätte ich gesagt, pfui Deuwel!" Und
Frau Fanny warf mit energischem. Schwung den
Rest ihrer Zigarette über die Brüstung der Veranda.
Der Baron von Qnessendorpf aber spielte nachdenklich
mit dem Stiel seines Moselglases. . . . „Ja, ja, und
fast möchte ich sagen, die Sorte Menschen, die sich
aus Liebe heiraten, die's fertig kriegt, den Rittergurt
um etliche Daumenbreiten enger zu schnallen, nur um
die gänzlich mitgiftlose Herzallerliebste heimführen zu
können, wie ich altmodischer Kerl es getan hab', wird
immer seltener. Und ich muß manchmal an ein weiß
haariges Jüdlein denken, den alten Jankel Tetenbaum,
der noch zu Lebzeiten meiner Mutter alle Frühjahr und
Herbst mit seinem ,Pingell, dem großen Packen, auf den