Full text: Bd. 2, Die Heroen (Die griechische Heldensage), Buch 3, Die großen Heldenepen, Abt. 2, Hälfte 2, Der Troische Kreis , Die Nosten (02030202)

ORESTES. 
1389 
umgekommen sei, hat sich, so berichtet Hygin, dieser der 
Herrschaft bemächtigt, wird aber von dem ans Delphoi heim 
kehrenden Orestes getötet; Erigone, die von demselben Schick 
sal bedroht ist, wird von Artemis nach Attika entführt und 
dort zu ihrer Priesterin bestellt. Hier befremdet es, daß 
Aletes sich nicht schon früher der Herrschaft bemächtigt hat, 
als Orestes, von den Erinyen verfolgt, durch die Welt irrte, 
und man fragt sich vergeblich, wer denn während dieser Zeit 
in Argos das Szepter geführt haben soll. So scheint die Ver 
bindung mit der Handlung der delphischen Iphigeneia nach 
träglich, vielleicht erst von dem Mythographen, hergestellt 
zu sein, und die in letzter Linie zugrunde liegende griechische 
Tragödie, in der man nicht ohne Grund den Aletes des Sopho 
kles vermutet hat 1 ), wird den siegreichen Kampf des aus 
Delphoi oder Athen zurückgekehrten Sohnes des Agamemnon 
mit dem Usurpator zum Inhalt gehabt haben, wobei es fraglich 
bleibt, ob und inwieweit auch Erigone hineingezogen wurde. 
Hingegen hat sie vielleicht schon in dem griechischen Original 
der delphischen Iphigeneia, sicher aber in dessen lateinischer 
Bearbeitung durch Acoius eine Bolle gespielt, da die Tragödie 
dieses Dichters, aus der die vom Opfer im Taurerlande handeln 
den Verse zitiert werden, als Erigona bezeichnet wird (oben 
S. 1338 A. 3), wobei es freilich sehr wahrscheinlich ist, daß dies 
nur der Nebentitel, der Haupttitel aber Agamemnonidae war. 1 2 ) 
Da ja auch im Dulorestes Erigone sympathische Züge getragen 
zu haben scheint, so steht der Annahme nichts im Wege, 
daß sie sich nach der Ermordung ihrer Eltern an Elektra 
angeschlossen und diese nach Delphoi begleitet habe. Und 
wenn auch ihre Bedrohung durch Orestes und ihre Entrückung 
durch Artemis, die an die der Helena bei Euripides (oben 
S. 1327) erinnert, für dieses Stück ausgeschlossen erscheint, 
so hindert doch nichts anzunehmen, daß sie dort am Schluß, 
vielleicht durch Artemis selbst, zur Priesterin des durch Orestes 
nachBrauron gebrachten skythisohenKultbildes erkoren wurde, 
also in das Amt eintrat, das nach der dortigen Lokalsage 
Iphigeneia selbst innehatte (oben S. 1327). 
1) Welcker a. a. 0. 215 ff. Ob die ’HQLyovrj desselben Dichters mit seinem 
AXrjzrjg identisch ist, erscheint fraglich (Ribbeck a. a. 0. 621; Knaack Real- 
Enzykl. I 1369), da die Tochter des Aigisthos in dem Stück höchstens eine Neben 
rolle haben konnte, und man ebensogut an die Geschichte der Tochter des Ikarios, 
einen für einen attischen Tragiker sehr naheliegenden Stoff, denken kann. Eine 
Erigona gab es auch von Ciceros Bruder Quintus Tullius, einen Aletes von Lyko- 
phron. An den Herakleiden Aletes (oben S. 663) ist wohl weder bei diesem noch 
bei Sophokles zu denken. 
2) Ribbeck a. a. 0. 469ff., anders P. Schmidt De Nonii Marcelli auctoribtis 59. 
Preller, Griech. Mythologie II 4 3 (Robert, Heldens. III 2, 2), 87
	        
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