Full text: Geistige Freiheit, persönliche Freiheit

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unserem Herzen Luft zu machen und unsere Ansicht offen und un 
verblümt zu sagen. Das Schweigen war schon einmal die Schuld, 
wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, der Intellektuellen. Diese 
sogenannten Intellektuellen in Berlin jedenfalls beweisen, daß sie 
aus den Erfahrungen der letzten fünfzehn Jahre gelernt haben. Sie 
beweisen, daß sie entschlossen sind, für die geistige und persönliche 
Freiheit zu kämpfen, und man soll wissen, daß sie nicht nur ent 
schlossen sind, dieses in Protestkundgebungen auszudrücken, nein, 
daß sie auch bereit sind, wenn es sein muß, mit dem Volk zusammen 
auf die Straße zu gehen (Lebhafter Beilall). 
Die Berliner werden nicht aufhören, für diese Freiheit mit allen 
Mitteln einzustehen. Sie sind geläutert durch die Erfahrungen der 
letzten Jahrzehnte. Es wird darum einmal der Tag kommen, an dem 
einer unserer Dichter das Epos dieser trotz allem optimistischen, 
hartnäckigen, freiheitliebenden Stadt schreiben wird. 
Dieses Berlin war seit jeher weltoffen und aufgeschlossen. Ein 
Adolf Hitler hat es nicht vermocht, bevor ihn seine Polizei- und 
SA-Kordons schützten, in Berlin überhaupt das Wort zu ergreifen 
(Beilall). Man hätte ihn hier aufgeknüpft und Deutschland und der 
Welt wäre vieles erspart geblieben. 
Berlin war auch während der Jahre der Hitlerzeit die Stadt, in der 
die Widerstandsbewegung ihre tiefsten Wurzeln hatte, und Berlin 
war auch die Stadt, in der nach dem apokalyptischen Ende des Nazi 
staates, das wir Berliner ja ganz besonders auszukosten hatten, wäh 
rend noch Rauchschwaden über unsere Trümmer zogen, am mutig 
sten von vorne angefangen wurde. In diesem Berlin, das, möchte 
ich sagen, einem vergewaltigten Weibe gleich rein aus der Bedräng 
nis hervorgeht, weil es sich rein an Geist und Seele bewahrt hat, 
und in dessen Brust das Feuer der Freiheit nicht erlosch, in 
diesem Berlin bildete sich selbst in den breitesten Massen ein neues, 
echtes politisches Gefühl. Dieses politische Gefühl der Berliner 
wird es ermöglichen, gerade von hier aus einen neuen deutschen 
Menschen zu formen, der, vervielfacht, einmal die Phalanx einer ge 
samtdeutschen Demokratie bilden wird. 
Wir alle wissen, daß noch schwere Wochen vor uns liegen. Aber 
wir wissen auch, daß eines Tages das Banner der Freiheit auf dem 
Berliner Funkturm aufgezogen, daß dann das Spinngewebe, das sich 
in seiner Nähe eingenistet hat, von diesem Banner der Freiheit zer- 
flattert werden wird (Heiterkeit — Lebhafter Beifall). 
Für diesen Tag zu wirken, sei der Sinn unserer Kundgebung „Geistige 
Freiheit — persönliche Freiheit". 
Ich bitte nun den Würdigsten unter uns, Herrn Professor EDWIN 
REDSLOB, den Vorsitz dieser Kundgebung zu übernehmen (Beifall). 
EDWIN REDSLOB 
MITBÜRGERINNEN und Mitbürger unserer in Zeiten der Not erst 
recht und heiß geliebten Stadt! Ein Ruf ist ausgegangen. Er richtet 
sich an die Bürger dieser Stadt, die eine der grausamsten und zu 
gleich auch die unnötigste Blockade der Weltgeschichte durchleiden 
müssen. Die Blockade ist sinnlos, da durch sie Gegensätze anderer
	        
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