Full text: Geistige Freiheit, persönliche Freiheit

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selbst bedeute, sagte er: Es gilt, den Russen einen deutschen Kom 
munismus mit eigenen konstruktiven Gedanken zu präsentieren, 
damit wir nicht ein sowjetisches Anhängsel werden. 
Im Anschluß daran schilderte Albrecht Haushofer seine Rußland 
eindrücke. Er schilderte die Schönheit der Landschaft, die Gast 
freundschaft, die Kinderliebe der Russen, und er schilderte, daß in 
demselben Land fünf Millionen Menschen in Zwangsarbeitslagern 
und Gefängnissen seien und dort zu Hunderttausenden elend zu 
grunde gingen (Plui-Rufe). 
Sowohl Schulze-Boysen als auch mir schien dies unglaubhaft. Wir 
waren beide der Überzeugung, daß die Erfolge, die Rußland im 
Kriege errang, zu einer Abschaffung der Zwangsarbeitslager bei 
tragen würden. 
Am Schlüsse des Gespräches fragte Schulze-Boysen, wie sich denn 
Haushofer eine konstruktive Zusammenarbeit mit Rußland dächte. 
Seine Antwort war: In den Fragen des Tages durch eine kluge 
Politik, im Giundsätzlichen und Entscheidenden, indem den Sowjets 
der Selbstbehauptungswille der europäischen Kultur entgegengesetzt 
wird (Lebhafter Beifall). 
An dieses Gespräch mußte ich heute denken bei dem, was in drei 
Jahren Zusammenarbeit mit dem Osten offenbar wurde. Die neuen 
Gefangenenziffern nach russischen Tatsachenberichten geben minde 
stens acht Millionen Zwangsarbeiter und Inhaftierte an (Pfui-Rule). 
Eines aber verdient Feststellung in einem Lande, das selbst die Schuld 
hat, nichts gewußt zu haben, daß und wie Millionen von Menschen 
hinter Stacheldraht verhungerten und umkamen: Es ist die Pflicht 
eines jeden, diese Dinge zu prüfen und sie nicht von vornherein 
als Propaganda der Gegenseite abzutun. Das können wir den Ver 
antwortungtragenden der Ostzonenpolitik heute zurufen: Es geht 
weniger darum, was ihr tut, es geht darum, was ihr unterlaßt, und 
das glaube ich im Namen des Kommunisten Schulze-Boysen auch 
aussprechen zu dürfen: Er hätte seine Beziehungen zu den Sowjets 
dazu benutzt, um die Forderung zu stellen, daß wenigstens eine 
ausgewählte Kommission die Verhältnisse in den Zwangsarbeits 
lagern nachprüfen dürfte. Und wenn ein sowjetischer Offizier die 
Erklärung abgibt — sie liegt ein Jahr zurück —, künftig würden 
die Inhaftierten schreiben können, so hätte Schulze-Boysen bestimmt 
dafür gesorgt, daß ein solches Versprechen nicht einfach vergessen 
wird. Man kann sich nicht bedingungslos einem System verschreiben, 
von dem feststeht, daß es Millionen von Zwangsarbeitern inhaftiert 
hat (Beifall), Das hat nicht das geringste mit politischer Gesinnung, 
nicht das geringste mit Marxismus oder Dollars zu tun. Es ist eine 
reine Frage der Menschlichkeit (Beifall). Wir leben in einer Zeit, in 
der uns jedes stillschweigende Hinnehmen mitschuldig macht an den 
großen Weltkatastrophen ebhafter Beifall). 
Es ist ein großer Irrtum zu glauben, diese Weltkatastrophen ent 
ständen darum, weil es so viele schlechte Menschen gibt. Sie ent 
stehen, weil es so viele Anständige gibt, die nicht zu ihrer Überzeu 
gung stehen (Starker Beifall). Ein Führer der deutschen Widerstands 
bewegung — es war der preußische Finanzminister Popitz — sagte ein 
mal: „Gott läßt dieses Übermaß an Bösem nur in die Welt, weil er 
von uns will, daß wir handeln" (Beifall). Das ist die große Lehre des 
Tages, der sich übermorgen jährt. Diese für die Freiheit gestorbenen 
Männer fühlten, daß unser weltumspannendes Zeitalter der Organi 
sation und Technik eine ganz andere, höhere Verantwortlichkeit von
	        
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