Full text: Geistige Freiheit, persönliche Freiheit

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jedem fordert. Wir leben in einer Zeit, in der wir uns ein beschauliches 
Leben nicht aussuchen dürfen. Die geographische Lage Berlins ist eine 
Aufgabe. Wir können sie nur erfüllen oder schuldig werden (Beilall). 
Jeder, der heute nicht um seine Freiheit kämpft, wird morgen um 
seine Sicherheit kämpfen müssen (Erneuter starker Beilall). Es geht 
nicht darum, daß wir nicht verantwortlich sind, weil wir nicht den 
Vertrag von Pdtsdam unterzeichnet haben, es geht darum, daß das 
deutsche Volk besser als irgendein anderes in der Welt den zwangs 
läufigen Dynamismus eines totalitären Systems kennt, und dieses 
Wissen ist eine Verpflichtung (Beilall). In uns ist am tiefsten ein 
gebrannt, daß kein System und keine Ordung mehr sein kann als die 
! Kräfte, an die es im Leben des einzelnen appelliert. Wir wissen, wie 
viele scheinbare Varianten der Freiheit vortäuschbar sind, daß es aber 
im Grunde genommen nur eine einzige Freiheit gibt, und das ist die, 
in welcher das Recht und die Wahrheit durchsetzbar sind (Beilall). 
Wer Einschränkungen zuläßt oder billigt, hat das Wesen der Freiheit 
nicht nur um den Bruchteil'vermindert, um den er es eingeschränkt 
hat, sondern er hat die Idee der Freiheit getötet. Leugnen wir die 
Idee der Freiheit, so haben wir alles aufgegeben, was an geistigen 
und Menschenwerten dazugehört (Erneuter Beilall). 
Auch der Friede im großen und im kleinen hat die Freiheit zu seiner 
Voraussetzung (Beilall). Seien wir uns bewußt, daß jedes Denken und 
jede Erlebensweise noch ganz anders von einer bestehenden Not mit 
bestimmt wird. Unsere Not in Berlin ist noch ein Geringes gegenüber 
der Hungersnot aus dem Zwang der Ostzone. (Beilall) Diese siebzehn 
Millionen Menschen sind heute mehr denn je gezwungen, und sie 
würden mit einem einzigen Aufschrei mit uns protestieren, wenn sie 
es könnten (Erneuter Beilall). 
Und versetzen wir uns in die Lebensweise der Millionen hinter Stachel 
draht, die nicht wissen, wie lange ihre körperlichen und seelischen 
Kräfte noch ausreichen! (Zurul: Die Kriegsgefangenen) Es ist unsere 
Pflicht, uns auch in ihre Denkweise hineinzuversetzen (Bravo-Rute). 
Heute fühlt fast jeder Berliner, daß die gegenwärtige Lage nicht plötz 
lich entstanden ist, sondern sich drei Jahre lang schrittweise vor 
bereitet hat. Wir fühlen auch, daß es keinen Vertrag oder irgendeine 
politische Kombination gibt, durch welche die inneren Ursachen der 
Krise beseitigt werden können. Man kann nicht mit gewöhnlichen 
Mitteln aus einer ungewöhnlichen Krise herausführen. Es handelt sich 
um Massenkräfte, die stärker sind als politische Kombinationen, Hoff 
nungen und Wünsche (Beilall). 
In einer solchen Stunde gilt es mehr denn je, sich bewußt zu sein, 
daß alle guten Kräfte der Tat in der Welt solidarisch sind (Beilall). 
Es ist die Grundlehre der deutschen Widerstandsbewegung: Alles, was 
diese Männer taten, hat nie den Kern getroffen, und doch hat alles, 
was sie aus Gewissenspflicht und Verantwortungsliebe wagten, siih 
zu der Tat des andern hinzugefügt. Und wer heute dem Recht in 
irgendeiner Sache dient, hat zugleich dem Recht all derer gedient, die 
rechtlos geworden sind. Wer heute die Freiheit in irgendeiner Sache 
behauptet, hat zugleich der Freiheit gedient, die Millionen Menschen 
entbehren. 
Jede gute Tat wirkt fort (Beilall). Sie geht nicht verloren, wenn wir 
auch die Zusammenhänge nicht kennen und nicht verstehen. Das ist 
die große Gewißheit, mit der die Männer der deutschen Widerstands 
bewegung in den Tod gingen, und es liegt an uns in Berlin, diese Ver 
antwortung bewußt in die Welt hineinzutragen (Lebhafter Beifall).
	        
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