Full text: Geistige Freiheit, persönliche Freiheit

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LOTHAR BLANVALET 
Berlinerl Berlinerinnen! 
In einem Augenblick, da die dräuenden Wolken den politischen Hori 
zont verdunkeln, in einem Augenblick, da Berlin ohne sein Zutun zum 
Mittelpunkt des Weltinteresses und zum Objekt der internaitionalen 
Politik geworden ist, finden wir uns heute hier zusammen. 
Um es gleich vorweg zu sagen: die hier heute vor Ihnen stehen und 
zu Ihnen sprechen, sind weder Politiker noch Redner. Sie spüren aber 
als politisch denkende Menschen, daß nun der Moment gekommen ist, 
wo die Vertreter des kulturellen Lebens zu dem, was um uns geschieht, 
nicht mehr länger schweigen können (Beilall). 
Diese Vertreter des kulturellen Lebens haben heute ihre Feder und 
ihren Pinsel, ihr Studier- oder ihr Rollenbuch beiseitegelegt und treten 
aus der Stille ihres geistigen und künstlerischen Schaffens heraus. Sie 
sind, wie ich schon sagte, keine Politiker und wollen durch ihr heuti 
ges Wirken auch keine Politiker werden. Im Gegenteil, sie werden 
morgen wieder in ihren Beruf zurückkehren und durch ihre Arbeit zu 
einem sich entwickelnden demokratischen Leben ihr Bestes bei 
steuern. 
Alle, die hier oben stehen, sind sich durchaus darüber im klaren, daß 
sie durch ihr Bekenntnis ab heute von einer gewissen Seite abge 
stempelt sein werden. Sie sind sich durchaus darüber im klaren, daß 
man nichts unterlassen wird, ihnen ihr heutiges offenes Bekenntnis 
in irgendeiner Form anzukreiden. Von der gleichen Seite wird man 
auch hören, daß diese Kundgebung von irgendeiner Militärregierung 
bestellt gewesen sei (Lachen). Ich kann Ihnen hier versichern, daß 
diese Kundgebung weder von einem Verein, noch von einer Clique oder 
einer Machtgruppe inszeniert wurde, sondern daß sie dem Impuls 
gleichgesinnter, freiheitliebender Menschen entsprang, ja, daß sogar 
die Militärregierung, in deren Sektor dieser Platz liegt, wie jeder Ber 
liner erst durch die Presse von dieser Kundgebung erfuhr (Beilall). Es 
wäre schön, wenn überall in Berlin solche Großzügigkeit und Freiheit 
herrschten und ein Gleiches überall in Berlin möglich wäre (Beilall). 
Die gleichen Leute werden uns morgen unterstellen, daß wir hier nur 
den Mund auftäten, weil wir ja unsere Flugkarten bereits in der 
Tasche hätten (Lachen). Ich muß sagen, daß ich mich schämen würde, 
über eine solche Möglichkeit überhaupt mit einem Alliierten zu 
sprechen. Wir werden hier kämpfen und wir werden — dessen bin 
ich sicher — eines Tages auch hier die Freiheit haben (Lebhafter 
Beilall). Vielleicht aber haben gewisse andere Leute bereits ihre Rück 
flug- oder — um es bescheidener zu sagen — ihre Rückfahrkarte 
in der Tasche (Heiterkeit). Wenn ich mich nicht irre, sind die 
Schienenstränge nach einer bestimmten Himmelsrichtung Gott sei 
Dank noch nicht reparaturbedürftig (Heitere Zustimmung). 
Diese uns erwartenden Anwürfe aber hindern niemand von uns, 
dem Rufe unserer Freunde zu folgen und hier in dieser Kundgebung
	        
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