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Vertrags- und GesetzesverletzUngen des Unternehmers strafrechtlich zu schützen,
verfällt der Entwurf nicht einen Augenblick. Diese Ergänzung aber wäre ein
Gebot selbstverständlicher ausgleichender Gerechtigkeit. Denn bei weitem nicht
jede Gesetzes- oder Vertragsverletzung des Unternehmers berechtigt den Ar
beiter zur sofortigen Lösung des Arbeitsverhältnisses. Mögen also auch Staat,
Gemeinde oder Private die Befolgung der ihnen nach dem Gesetz oder Arbeits
vertrag gegen die Arbeiter obliegenden Verpflichtungen beharrlich verweigern,
z. B. eines Tarifvertragsbruchs sich schuldig machen, und legen, hierdurch end
lich zur Verzweiflung getrieben, die Arbeiter die Arbeit nieder, der Entwurf
ruft ihnen trotzdem zu: Hilft nichts, der Jude wird verbrannt oder — um in
der Sprache des Entwurfs zu reden —: der Arbeiter wandere bis auf 3 Jahre
ins Gefängnis.
Für diese himmelschreiende Ungerechtigkeit hat auch der Entwurf der
Professoren nicht die Spur eines Verständnisses. Gegencntwurf und Negie
rungsentwurf teilen hier denselben Standpunkt. Klasscnanschauungen und
Klassenvorurteile sind eben die gleichen, auf den Höhen der Wissenschaft, wie
in den Niederungen des Scharfmachertums. Die Arbeiterschaft aber wird
daraus lernen, daß sic den Kampf um die Erhaltung des KoalitionsrechtS
gegen den Entwurf allein, gegen eine Welt von Feinden führen muß, ohne
auf Hilfe von irgendeiner Seite rechnen zu dürfen.
Ich habe Ihre Zeit schon ungebührlich lange in Anspruch genommen und
muß zum Schlüsse kommen. ■(£§ ist mir daher nicht mehr möglich, dem Entwurf
überall dahin zu folgen, wo es seinem Spürsinn sonst noch gelungen ist, Rechte
zu entdecken, die dem Proletariat durch Strafgesetz und Polizeibüttel geraubt
werden können.
Nur im Fluge sei hingewiesen auf den § 134, der mit Gefängnis bis zu
2 Jahren bestraft, wer durch gemeingefährliche Drohung den öffent
lichen Frieden stört — eine Bestimmung, die den zum Streik auffordernden
oder auch nur dessen günstige Chancen erörternden Gewerkschaftsführer gründ
lich unschädlich zu machen geeignet und offenbar auch bestimmt ist. Lediglich
deshalb hat man die entsprechende, scharf präzisierte Vorschrift des geltenden
Rechts durch die dehnbare, inhaltlose Wendung: „gemeingefährliche Drohung"
ersetzt, unbekümmert darum, daß man die Stellung der Gerichte, den Glauben
an ihre Unparteilichkeit durch eine solche, das Recht zu einem Instrument der
Politik degradierende Bestimmung weit über den Einzelfall hinaus von Grund
aus zerstört.
^ In erster Linie gegen den politischen Agitator richtet sich der § 131 des
Cütwurfs. Aber Sie werden nur den Wortlaut und die Begründung der
Vorschrift zu hören brauchen, um zu sehen, daß hier auch der gewerkschaftlichen
Betätigung die hinterlistigsten Fallen gelegt sind. Bestraft wird, wer die
gesetzliche Ordnung dadurch gefährdet, daß er öffentlich zur Begehung von
Verbrechen oder Vergehen oder zur Auflehnung gegen Gesetze usw. aufreizt.
Hierzu bemerken die Motive: Es gilt Vorkehrungen zu treffen gegen die, die
durch Verhetzung Widerstand oder eine dazu geneigte Stimmung hervorrufen.
Während aber das geltende Gesetz nur die Aufforderung für strafbar erklärt,
erweitert der Entwurf den Tatbestand dadurch, daß er dem Auffordern das
Aufreizen gleichsetzt. Die Erweiterung sei notwendig, weil die geschicktesten
und gefährlichsten Volksaufwiegler erfahrungsgemäß die Form der Aufforde
rung zu vermeiden und dafür die bisher straflose Anreizung zu wählen ge
wußt hätten. Endlich sei es nicht geboten, daß zu bestimmten Gesetzesver
letzungen aufgereizt werde, es genüge, wenn aus der ausgestreuten Saat
irgendwelche Gesetzwidrigkeiten entstehen können, die Delikte im einzelnes
brauchten nicht bestimmt zu sein. — Dieser Vorschlag ist geradezu skandalös.
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