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Kein Volk, das auf seine Ehre etwas hält, kann derartiges ertragen. Dar
unter kann jede zielbewußte politische oder gewerkschaftliche Aktion gebracht
werden. Das mutz ein unbrauchbarer Staatsanwalt sein, der nicht zu dcdir-
zieren vermag, daß eine naturgetreue Schilderung der Mängel des Klassen
staates oder der erbärmlichen Lage der Arbeiter einer bestimmten Industrie
eine die gesetzliche Ordnung gefährdende Stimmung zu erzeugen vermag, die
zur Auflehnung gegen irgendwelche unbestimmten Gesetze anreizt. Geradezu
köstlich ist der Hinweis der Motive auf die verdammte Gesetzlichkeit der Ar
beiterführer oder, wie die Begründung sie wohlwollend nennt, der geschicktesten
und gefährlichsten Volksauswiegler. Kommt Mohammed nicht zum Berge, so
muß dieser eben zu Mohammed kommen. Da die Aufwiegler bedauerlicher
weise den Gesetzen gehorsam gewesen sind, muß, so sagt der Entwurf, das
Gesetz so elastisch gefaßt werden, daß die Arbeiterführer ihm nicht entwischen
können. Wie sagt doch Schillers Wallenstein: Wär der Gedanke nicht so ver
flucht gescheit, man wär versucht, ihn herzlich dumm zu nennen. Unbegreif
lich ist nur, warum der Entwurf sich noch lange mit der Aufstellung gesetzlicher
Tatbestände quält. Er erreicht doch denselben Zweck, wenn er kurz dekretiert:
Wer politisch oder gewerkschaftlich in einer den herrschenden Klassen oder dem
Unternehmertum unbequemen Weise sich betätigt, wird unschädlich gemacht.
Endlich finden wir selbstverständlich unseren guten alten Bekannten, den
groben Unfugsparagraphen, in den verschiedensten Verkleidungen im Ent
würfe wieder. Daß selbst dem Reichsgericht, das doch wahrlich an ausdehnen
der Auslegung der Strafgesetze denkbar weitgegangen ist, die Unfugsjuris,
prudenz denn doch zu bunt geworden ist und es der maßlosen Verwilderung,
in die die Rechtsprechung zn diesem Paragraphen ausgeartet ist, einen Riegel
vorgeschoben hat, patzt dem Entwurf ganz und gar nicht. Er will keinesfalls
darauf verzichten, daß, wenn die radikalen Mittel zur Austreibung einer unbe
quemen gewerkschaftlichen oder politischen^ Gesinnung nicht anwendbar sind,
den Gerichten wenigstens das Hausmittel des groben Unfugparagraphen bleibt.
Was nach Ansicht des Reichsgerichts von den unteren Gerichten zu Unrecht ge
schehen ist, soll von jetzt ab Gesetz werden.'
Der Entwurf bestraft zunächst, wer wider besseres Wissen durch falsche
Nachrichten oder Gerüchte vorsätzlich in der Bevölkerung Beunruhigung her
vorruft. Hierunter werden Arbeiterpresse und Gewerkschaftsbeamte, die Mitz-
stünde auf politischem oder sozialem Gebiete einer Kritik unterziehen, schwer
zu leiden haben. Weit gefährlicher aber noch ist die folgende Nummer, die
bestraft, wer durch Erregung von Unordnung oder arideres ungebührliches.
Verhalten vorsätzlich das Publikum belästigt. Daß damit unter anderem
Streikpostenstehen und Boykott getroffen werden, unterliegt keinem Zweifel.
Denn vielen Richtern erscheint für solche Taten der gesetzliche Ausdruck:
Ungebührliches Verhalten noch viel zu milde zu sein. Der Professorenentwurf
schließt sich dem Entwurf der Regierung vollständig an, schiebt nur vor dem
Wort: „belästigt" den Ausdruck: „erheblich" ein, — eine praktisch vollkommen
gleichgültige, schlechte Phrase. Beide Entwürfe wetteifern also auch hier, der
politischen und wirtschaftlichen Freiheit die ernstesten Hindernisse zu bereiten.
Damit habe ich keineswegs alle die im Entwurf dem Koalitionsrecht ge
legten Fallstricke erschöpfend erwähnt. Nur das allerwesentlichste habe ich er
örtert.
Ich bin am Ende meiner Ausführungen. Die Arbeiterschaft geht ernsten
Kämpfen entgegen. Die wenigen politischen und gewerkschaftlichen Rechte, die
sie besitzt, sollen ihr genommen werden. Nicht offen und ehrlich, wie es
Zuchthausgesetz und Umsturzvorlage wollten, sondern unter dem Anschein des
gemeinen Rechts, aber desto wirksamer und nachhaltiger. Die Frage, die