Full text: Das Koalitionsrecht in Deutschland und der Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch

29 - 
wir Bet Beurteilung des Entwurfs zu stellen haben, mutz überall die fetnj 
Kann die betreffende Bestimmung gegen die Ausübung des KoalitionS- 
rechts benutzt werden? Wird diese Frage bejaht, dann können wir sicher sein, 
datz die Vorschrift gegen das Koalitionsrecht verwendet werden wird. Das 
ist keine agitatorische Phrase, sondern die Folgerung aus der bisherigen 
Rechtsprechung des Reichsgerichts. Halten wir uns nur iinmer die eine Tat 
sache vor Augen, die bis zum Ueberdrutz oft wiederholt werden sollte: Jahre 
lang hat das deutsche Reichsgericht die Ansicht vertreten, daß unter den 8 153 
der Gewerbeordnung auch Versuche fallen, den Gegner im Lohnkampfe zur 
Bewilligung der an ihn gestellten Forderungen zu bewegen. Nun ist aber eine 
Arbeitseinstellung undenkbar, bei der dies nicht geschieht, eS sei denn, datz ihre 
Veranstalter Tollhäusler seien. In jedem anderen Falle besteht ja gerade 
darin der Zweck des Streiks, den Arbeitgeber unter Androhung von Ver- 
mögensnachteilen zu veranlassen, die von den Streikenden erstrebte Verbesse- 
rung ihrer wirtschaftlichen Lage ihnen zuzubilligen. Mit anderen Worten: 
die im Interesse des sozialen Friedens gerade besonders erlvünschten Aus 
gleichsverhandlungen, bei denen der Streik noch abgewendet werden kann, 
machte die Rechtsprechung des Reichsgerichts unnröglich. Erst nachdem selbst 
der Staatssekretär des Reichsjustizamts in öffentlicher Reichstagssitzung nicht 
mehr umhin konnte, das Reichsgericht zu rektifizieren und die gegen seine 
Rechtsprechung sprechenden schweren Bedenken zuzugestehen, gab das Reichs- 
'gericht seine Ansicht aus. 
Ist aber die Rechtsprechung des höchsten Gerichts von einem solchen Miß 
trauen gegen die Koalitionsfreiheit erfüllt, dann müssen wir davon ausgeben» 
datz jede Vorschrift, die die Handhabe dazu bietet — und es gibt viele 
solche Vorschriften im Entwurf —, gegen die Vereinigungsfreiheit der Arbeiter 
ins.Feld geführt werden wird. 
Das Streikpostenstehen ist bereits im Deutschen Reiche heute verboten. 
Sie alle kennen die rechtliche Entwickelung, die dieses zur erfolgreichen Durch 
führung eines Streiks unentbehrliche Mittel in den letzten Dezennien er 
fahren hat. Das Reichsgericht erkannte an, datz das Streikpostenstehen durch 
§ 152 der Gewerbeordnung gewährleistet sei. Zugleich aber fügte das Reichs 
gericht hinzu, datz den Gefährdungen, die mit dem Streikpostenstehen etwa ver 
bunden seien, in anderer Weise durch Polizeiverordnungen entgegengetreten 
werden könne. Diese Worte haben verständnisvollste Ausnahme bei den Ver 
waltungsbehörden gefunden. Sofort machten sie von den sonst ein behagliches 
Milleben führenden Polizeiverordnungen zur Verhinderung des Streikposten- 
stebens den ausschweifendsten Gebrauch, Dieser^Hstand war allenfalls erträg 
lich, solange das Kammergericht, das als höchstes Gericht für ganz Preußen 
in dieser Frage zuständig ist, dem Gericht die seine eigentliche Aufgabe aus 
machende Prüfung gestattete, ob Sicherheit und Ruhe von den Streikposten 
wirklich gefährdet gewesen seien. Dieser selbstverständliche Rechtszustand aber 
ist lange, lange vom Kammergericht beseitigt. Es verbietet jetzt den 
Gerichten nachzuprüfen, ob die Aufforderung des Schutzmannes an den Streik 
posten, sich gu entfernen, notwendig und zweckmähig gewesen sei. Es komme 
lediglich darauf an, ob der Schutzmann von der Ansicht ausgegangen sei, 
datz der Streikposten im Interesse der polizeilichen Ordnung zu entfernen sei. 
Mag diese Ansicht auch eine noch so falsche, unbegründete und- leichtfertige 
sein, es genügt, daß der Schutzmann sie hatte, um jedes Nichtbefolgen seiner 
Anordnung strafbar zu machen. Diese Rechtsprechung hat höchsten Unmut 
sogar in Kreisen erregt, die das in der Zuchthausvorlage ausgesprochene Ver-> 
bot des Streikpostenstehens mit Freuden begrüßt haben. Selbst solche Leute 
erklärten, daß, nachdem die Zuchthausvorlage gefallen war, man dessen Ziel
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.