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wir Bet Beurteilung des Entwurfs zu stellen haben, mutz überall die fetnj
Kann die betreffende Bestimmung gegen die Ausübung des KoalitionS-
rechts benutzt werden? Wird diese Frage bejaht, dann können wir sicher sein,
datz die Vorschrift gegen das Koalitionsrecht verwendet werden wird. Das
ist keine agitatorische Phrase, sondern die Folgerung aus der bisherigen
Rechtsprechung des Reichsgerichts. Halten wir uns nur iinmer die eine Tat
sache vor Augen, die bis zum Ueberdrutz oft wiederholt werden sollte: Jahre
lang hat das deutsche Reichsgericht die Ansicht vertreten, daß unter den 8 153
der Gewerbeordnung auch Versuche fallen, den Gegner im Lohnkampfe zur
Bewilligung der an ihn gestellten Forderungen zu bewegen. Nun ist aber eine
Arbeitseinstellung undenkbar, bei der dies nicht geschieht, eS sei denn, datz ihre
Veranstalter Tollhäusler seien. In jedem anderen Falle besteht ja gerade
darin der Zweck des Streiks, den Arbeitgeber unter Androhung von Ver-
mögensnachteilen zu veranlassen, die von den Streikenden erstrebte Verbesse-
rung ihrer wirtschaftlichen Lage ihnen zuzubilligen. Mit anderen Worten:
die im Interesse des sozialen Friedens gerade besonders erlvünschten Aus
gleichsverhandlungen, bei denen der Streik noch abgewendet werden kann,
machte die Rechtsprechung des Reichsgerichts unnröglich. Erst nachdem selbst
der Staatssekretär des Reichsjustizamts in öffentlicher Reichstagssitzung nicht
mehr umhin konnte, das Reichsgericht zu rektifizieren und die gegen seine
Rechtsprechung sprechenden schweren Bedenken zuzugestehen, gab das Reichs-
'gericht seine Ansicht aus.
Ist aber die Rechtsprechung des höchsten Gerichts von einem solchen Miß
trauen gegen die Koalitionsfreiheit erfüllt, dann müssen wir davon ausgeben»
datz jede Vorschrift, die die Handhabe dazu bietet — und es gibt viele
solche Vorschriften im Entwurf —, gegen die Vereinigungsfreiheit der Arbeiter
ins.Feld geführt werden wird.
Das Streikpostenstehen ist bereits im Deutschen Reiche heute verboten.
Sie alle kennen die rechtliche Entwickelung, die dieses zur erfolgreichen Durch
führung eines Streiks unentbehrliche Mittel in den letzten Dezennien er
fahren hat. Das Reichsgericht erkannte an, datz das Streikpostenstehen durch
§ 152 der Gewerbeordnung gewährleistet sei. Zugleich aber fügte das Reichs
gericht hinzu, datz den Gefährdungen, die mit dem Streikpostenstehen etwa ver
bunden seien, in anderer Weise durch Polizeiverordnungen entgegengetreten
werden könne. Diese Worte haben verständnisvollste Ausnahme bei den Ver
waltungsbehörden gefunden. Sofort machten sie von den sonst ein behagliches
Milleben führenden Polizeiverordnungen zur Verhinderung des Streikposten-
stebens den ausschweifendsten Gebrauch, Dieser^Hstand war allenfalls erträg
lich, solange das Kammergericht, das als höchstes Gericht für ganz Preußen
in dieser Frage zuständig ist, dem Gericht die seine eigentliche Aufgabe aus
machende Prüfung gestattete, ob Sicherheit und Ruhe von den Streikposten
wirklich gefährdet gewesen seien. Dieser selbstverständliche Rechtszustand aber
ist lange, lange vom Kammergericht beseitigt. Es verbietet jetzt den
Gerichten nachzuprüfen, ob die Aufforderung des Schutzmannes an den Streik
posten, sich gu entfernen, notwendig und zweckmähig gewesen sei. Es komme
lediglich darauf an, ob der Schutzmann von der Ansicht ausgegangen sei,
datz der Streikposten im Interesse der polizeilichen Ordnung zu entfernen sei.
Mag diese Ansicht auch eine noch so falsche, unbegründete und- leichtfertige
sein, es genügt, daß der Schutzmann sie hatte, um jedes Nichtbefolgen seiner
Anordnung strafbar zu machen. Diese Rechtsprechung hat höchsten Unmut
sogar in Kreisen erregt, die das in der Zuchthausvorlage ausgesprochene Ver->
bot des Streikpostenstehens mit Freuden begrüßt haben. Selbst solche Leute
erklärten, daß, nachdem die Zuchthausvorlage gefallen war, man dessen Ziel