Für das ganze gewerkschaftliche Leben der nächsten Zeit gibt es keine
wichtigere, einschneidendere Frage als die Gestaltung des künftigen
Strafgesetzbuches, sofern dieses auf Grundlage des vom Reichsjustizamt
veröffentlichten Vorentwurfs zum deutschen Strafgesetzbuch ausgebaut
wird. Dieser erschwert nicht nur, was wir seit langem in Deutsch
land gewohnt sind, die Ausübung des Koalitionsrechts, er raubt dieses
vielmehr der deutschen Arbeiterschaft. Daß die Erkenntnis hiervon sich
in den Arbeiterkreisen noch nicht voll durchgerungen hat, hat darin
seinen Grund, daß die Regierung es geschickt vermieden hat, offen
und freimütig, wie bei der Zuchthausvorlage, dem Gesetzentwurf
ein arbeiterfeindliches Etikett aufzukleben. Vielmehr werden unter
dem Anschein der notwendigen Bekämpfung lediglich gemeiner, von
jedermann für strafwürdig angesehener Verbrechen die Tatbestands
merkmale des Gesetzes heimtückisch, so abstrakt, so unbestimmt und
so inhaltlos gefaßt, daß jede oppositionelle, den herrschenden Klassen
unangenehme politische oder gewerkschaftliche Betätigung bestraft
werden kann. Diese Methode ist nicht neu, sie hat beim Gesetz
betreffend die Bestrafung der Majestätsbeleidigungen begonnen,
ist beim Entwurf zur Strafprozeßordnung fortgesetzt und findet jetzt
ihren Abschluß und Höhepunkt bei dem neuen Strafgesetzentwurf. Sie
entspricht vollständig der Erklärung des Reichskanzlers, nach der es keiner
Ausnahmegesetze gegen die organisierte Arbeiterschaft und die Sozial
demokratie bedarf, weil auf dem Wege des gemeinen Rechts der auf-
wartsstrcbenden Arbeiterschaft genügend Hindernisse bereitet werden
können. Einige im allgemeinen Teil des Entwurfs unleugbar vor
handene Fortschritte sollen auf dem Gebiet der politischen und sozial
politischen Volksrechte mit den für ein Kulturvolk ungeheuerlichsten
Rückschritten erkauft werden, die sogar die empörendsten, volksfeindlich
sten Entwürfe: Zuchthausgeseh und Umsturzvorlage, weit hinter
sich lassen.
Diese Tatsache ist in der gesamten bürgerlichen Presse und Literatur
bisher nicht mit der genügenden Schärfe gewürdigt worden. Ganz im
Gegenteil, deni Entwurf folgen auf der abschüssigen Bahn auch Männer,
die an sozialpolitischer Einsicht die Bureaukratie turmhoch überragen.
Vier Professoren, von denen drei der internationalen kriminalistischen
Vereinigung angehören, haben einen Gegenentwurf veröffentlicht, der
ebenfalls den herrschenden Klassen eine Reihe der schärfsten Waffen
gegen die Ausübung des Koalitionsrechts liefert. Und doch nennt sich
die Internationale kriminalistische Vereinigung die soziologische Schule,
sie schreibt die Berücksichtigung des Einflusses der gesellschaftlichen
Faktoren auf ihre Fahne und will das Verbrechen durch Beseitigung
oder wenigstens Beschränkung der gesellschaftlichen Bedingungen des Ver
brechens wirksam bekämpfen. Wie aber soll, so fragen wir, dies möglich
sein, wenn man den unbemittelten Volksklassen, die naturgemäß den