Full text: Das Koalitionsrecht in Deutschland und der Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch

® as Rcichsjustizamt ist zurzeit mit der Ausarbeitung eines neuen Straf 
gesetzbuchs beschäftigt. Als erste Frucht dieser Arbeit ist der sogenannte Vor- 
cntwurf zum Deutschen Strafgesetzbuch erschienen, der die Grundlage für die 
weiteren Beratungen bilden soll. Zugleich hat die Reichsregierung dem Reichs 
tag eine Novelle zum Strafgesetzbuch vorgelegt, die im Reichstag bereits 
die zweite Lesung erfahren hat. Ob dieser eine dritte Lesung je folgen wird, 
steht dahin. Durch diese Novelle sollten diejenigen Mißstände beseitigt werden, 
die die Regierung als besonders dringende ansieht, mit deren Abstellung man 
daher nicht bis zum Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuchs warten wollte. 
Man hat diese Novelle im Volke kurz die Lex Eulenburg genannt, weil sie 
im Anschluß an den Prozeß gegen den Fürsten Philipp Eulenburg den Wahr, 
heitsbeweis bei BcleidigungSanklagen und das Recht der freien Meinungs 
äußerung einschränken will. Die Novelle beschäftigt sich auch mit dem 
Koalitionsrecht. Sie will dem Erpressungsparagraphen 
eine engere Fassung geben. Bei dieser Gelegenheit enthalten nun die 
Motive zur Novelle ein Zugeständnis, das die Jahrhunderte überdauern wird, 
weil es wie mit Blitzlicht die Gesetzgebung und Rechtsprechung unserer Zeit 
beleuchtet und den so -oft erhobenen und von der Gegenseite so oft leidenschaft 
lich zurückgewiesenen Vorwurf der Klassenjustiz gleichsam amtlich als 
richtig zugibt. 
Die Motive erklären, daß nach der bisherigen, mit der Tendenz des 8 162 
G.-O. in Widerspruch stehenden Rechtsprechung der Arbeiter sich der Cr- 
Pressung schuldig mache, der durch Drohung mit Arbeitseinstellung die 
Gegenpartei zu Zugeständnissen hinsichtlich der Lohn, und Arbeitsbedingungen 
bewegen will. Man mache sich die ganze Tragweite dieses Zugeständnisses 
klar: Streben nach Verbesserung der Lebenshaltung des Arbeiters gleich 
jenem schändlichsten und verabschcuungswürdigsten Gewerbe eines Erpresiers. 
Läßt sich eine stärkere Trübung des klaren Blickes durch Klassenanschauungcn 
und eine größere Verwirrung der sittlichen Begriffe denken? Um die Schroff 
heit dieses Zugeständnisses abzuschwächen und die formale Gleichheit zu wahren, 
suchen die Motive allerdings den Anschein zu erwecken, als ob dieselben Grund 
sätze auch gegen den Arbeitgeber Anwendung fänden, der seine Ar 
beiter durch Androhung der Aussperrung seinen Wünschen gefügig machen will. 
Allein die Verfasser der Motive werden selbst nicht glauben, daß diese Gleich, 
stellung von Arbeiter und Arbeitgeber auf irgendeiner Seite mehr als ein Lächeln 
Hervorrufen kann. Solange man nicht uns wenigstens einen Arbeitgeber vor 
zuführen vermag, der wegen Erpressung angeklagt worden ist, weil er seinen 
Arbeitern eine Lohnreduktion zumutete, sind wir berechtigt zu erklären, die 
Anwendung des Erpressungsparagraphen bei Lohnkämpfen stelle sich als eine 
ausschließlich gegen die Arbeiter und gegen ihr Streben nach 
Teilnahme an den Fortschritten der menschlichen Zivilisation gerichtete Maß 
regel dar. 
Diese ganze Rechtsprechung hat ihren Ausgangspunkt genommen von einer 
Entscheidung deS Reichsgerichts im 21. Bande. Dort erklärt das Reichs-
	        
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