27
ihre „kommunistischen" Theorien erfunden hatten. Folgendes Beispiel ist dafür
charakteristisch: Am 8. Dezember 1920 versandte das Politische Bureau der
Abteilung für Volksbildung in Hornel ein Rundschreiben „über die Durchsicht
der Bibliothekskatalogs und der Entfernung ungeeigneter Literatur". Bei der
Aufzählung dieser „ungeeigneten" Literatur heißt es unter Punkt 1: „Sämtliche
Agitationsschriften n ! ch t k o m m u n i st i s ch e n Inhalts (Konstituierende Ver
sammlung, allgemeines Wahlrecht, demokratische Republik usw.)" und unter
Punkt 4: „Die gesamte Agitationsliteratur über die Fragen, die von der Sowjet-
gewalt gegenwärtig anders entschieden werden als in der ersten
Periode der Revolution!" Welcher Feind des Bolschewismus könnte eine bös
artigere Karikatur ersinnen, als dieses offizielle Dokument sie darstellt?
27. Die Redefreiheit.
Auch hier wollen wir lediglich Auszüge aus einem offiziellen Dokument,
und zwar aus dem „Protokoll Nr. 12 870 über die Sitzung des Kollegiums der
Gouvernements-Tfcheka in Wladimir über die Angelegenheit Nr. 9132 vom
7. Oktober 1921" veröffentlichen.
Die „Angelegenheit Nr. 9132" betrifft zwei Arbeiter, die Brüder Wassilis
und Grigorij Poleschajew, von denen der letztere schon unter dem zarischen
Regime, im Jahre 1906, wegen Zugehörigkeit zur Sozialdemokratischen Partei
zu 6 Jahren 8 Monaten Zuchthaus verurteilt wurde, während der andere
Bruder seit 1910 wegen „politischer Unzuverlässigkeit" unter Polizeiaussicht
stand. Beide Brüder wurden nun der „sowjetfeindlichen Agitation" beschuldigt.
Im besonderen wurde Wassilij befcf)ulbigt; auf dem Kongreß der Bezirksaussaat
komitees im März 1921 vier Reden gehalten zu haben, „die den Charakter der
Kritik der Sowjetgewalt und im besonderen der Kommu
ni st ischen Partei Rußlands trugen, da in ihnen gesagt wurde, daß der
staatliche Aufbau nur dann nützlich sein würde, wenn zu den Leitern des arbeiten
den Volkes Vertrauen vorhanden sei". Ein noch schlimmeres Verbrechen beging
Grigorij: Er verlas auf demselben Bezirkskongreh „eine Deklaration des Zen
tralkomitees der Sozialdemokratischen (menschewistischen) Partei, hatte einen
großen Erfolg unter den Parteilosen, indem er in schönen Worten (!) aus
einandersetzte, daß die Konterrevolution von der Kommunistischen Parte! selbst
näherrücke". Mehr noch: Er „versammelte häufig seine Freunde, die aus So-
zialdemvkraten-Menschewisten bestanden, in seiner Wohnung, bezeichnete die
Kommunisten als „komische Käuze", die zwar den Zerfall des Landes sähen,
aber nicht imstande seien, sich mit den anderen politischen Parteien zu vereinigen,
um das Land aus seiner schweren Lage zu befreien".
Das sind die Verbrechen, für die die beiden Brüder Poleschajew zu je einem
Jahr Gefängnishaft verurteilt wurdenl Diese Tatsache genügt wohl zur
Illustrierung der Redefreiheit, die die russischen Arbeiter genießen, insbesondere,
wenn man sich der Worte erinnert, die der Bolschewist Mjasnikow (siehe
Abschnitt 23) über diesen Punkt gesagt hat.
28. „Der Wille des Proletariats".
Es erübrigt sich, weitere Dokumente anzuführen, die die Sprengung von
Arbeiterversammlungen und die Bestrafung streikender und demonstrierender
Arbeiter durch die Tscheka und die Revolutionstribunale betreffen. Ueberall
sehen wir ein Bild der gröbsten Gewalt, das den Arbeitern der zivilisierten
Länder völlig unfaßbar erscheinen würde.
Wir möchten hier aber noch einen besonderen Punkt erwähnen, der von
nicht unbeträchtlicher Bedeutung ist: Wie werden jene „grandiosen" Demon-