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Punkt 2 und 3 der Tagesordnung werden gemeinsam behandelt.
Als Berichterstatter der Verfassungskommission behandelt L e i p a r t in ein
gehender Weise die Gesichtspunkte, die für die Arbeit der Kommission maßgebend
waren. Es galt zu prüfen, wie sich die Gewerkschaften zur Frage der Sozialisierung
stellen, welche Stellung die Gewerkschaften nach erfolgter Sozialisierung einnehmen
werden und ob der gewerkschaftliche Kampf überhaupt nach der Ueberführung der
Betriebe in den Gemeinbesitz des Volkes noch berechtigt und zulässig ist. Die Auf
fassung der Kommission ist in dem Entwurf der Richtlinien über die künftige Wirk
samkeit der Gewerkschaften enthalten. Redner erörtert die einzelnen Absätze dieser
Richtlinien und behandelt auch zugleich den Aufgabcnkreis der Betriebsräte und die
dazu ausgearbeiteten Bestimmungen.
In der ausgedehnten Debatte wurden die verschiedensten Bedenken erhoben und
eine ganze Reihe von Abänderungsanträgen gestellt.
Auf Beschluß der Konferenz wurden beide Vorlagen zur nochmaligen Nachprüfung
an die Kommission zurückverwiesen.
Die von der Kommission redigierten Richtlinien, soioie die Bestimmungen über
die Aufgaben der Betriebsräte wurden von der Konferenz gegen eine Stimme in
folgender Fassung angenommen:
Richtlinien für die künftige Wirksamkeit der Gewerkschaften.
1. Die Gewerkschaften haben in der Periode der privatkapitalistischen
Warenproduktion die Arbeiter zum K l a s s e n k a m p f erzogen. Sic haben große
Massen der Arbeiter in starken Verbänden gegen die Unternehmer vereinigt, sie
in Lohnkämpfen geschult und durch wirtschaftliche Bildung zur Erkenntnis ihrer Lage
und zum Verständnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge gebracht. Die Gewerk
schaften haben in jahrzehntelangem systematischen Kampf den Unternehmern nicht nur
Arbeitszeitverkürzungen und Lohn e r h ö h u n g e n abgerungen, sondern
auch die Stellung der Arbeitnehmer in den von den Gewerkschaften beeinflußten Be
trieben der Arbeitgeberwillkür entzogen. Sie haben der Arbeiterschaft die An
erkennung ihrer Organisation als gleichberechtigten Vertragsteil er
kämpft und in beträchtlichem Umfange die gewerkschaftlichen Erfolge durch kollek
tive Arbeitsverträge sichergestellt. Sie haben ferner die Umwandlung des
A r b e i t s r e ch t s, vordem ein einseitiges Herrenrecht des Unternehmers, zum pari
tätischen Recht angebahnt und gefördert, sowie auf die Sozialpolitik und die
Gesetzgebung einen steigenden Einfluß ausgeübt.
2. Am Vorabend der politischen Revolution hatten die Gewerkschaften die Unter
nehmer bereits zur Erfüllung der wesentlichsten Arbeiterforderungen gezwungen und
sie auf den Weg der wirtschaftlichen Demokratie gedrängt, durch Schaffung
von Arbeitsgemeinschaften, in denen alle Fragen des Wirtschaftslebens und
der Sozialpolitik in gleichberechtigter Vertretung von Unternehmern und Arbeitern
gelöst werden sollen. Alle diese Erfolge der Gewerkschaften sind wertvolle Errungen
schaften, haben aber die berechtigten Forderungen der Arbeiterschaft und somit die
Aufgaben der Gewerkschaften erst zum Teil erfüllt. Der Kampf der Gewerkschaften
muß deshalb fortgesetzt werden.
3. Die Revolution hat die politische Macht der Arbeiterklasse gestärkt und
damit zugleich ihren Einfluß auf die Gestaltung der Volkswirtschaft vergrößert.
Der Wiederaufbau des durch den Krieg zerrütteten Wirtschaftslebens wird sich in der
Richtung der Gemeinwirtschaft, unter fortschreitendem Abbau der Privat
wirtschaft vollziehen. Diese Umwandlung muß planmäßig betrieben werden und wird
von den Gewerkschaften gefördert.
4. Die Gewerkschaften erblicken im Sozialismus gegenüber der kapitalistischen
Wirtschaft die höhere Form der volkswirtschaftlichen Organisation. Die von ihnen er
strebte B e t r i e b s d e m o k r a t i e und Umwandlung der Einzelarbcitsverträge in
K o l l e k t i v v e r t r ä g c sind wichtige Vorarbeiten für die Sozialisierung
Die weitere Mitarbeit der Gewerkschaften auf diesem Gebiet ist unentbehrlich.