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die umso verheerender wirkt und umso länger dauert, je länger und kraftvoller
vorher der Aufschwung gewesen.
Während des jüngsten Prodnktionsrausches war alle Welt in glücklichster
Stimmung und wiegte sich in den süßesten Träumen darüber, daß endlich eins
Zeit gekommen sei, in der der wirthschaftliche Aufschwung endlos vor sich gehen
könne, ohne durch einen Krach unterbrochen zu werden. Umsonst erhoben die
Sozialdemokraten ihre warnenden Stimmen. Ihre ökonomische Einsicht wurde
als veralteter Formelkram verhöhnt. Seitdem hat sich die Prophezeiung dev
Sozialdemokratie leider zu sehr bestätigt. Wir sind wieder einmal in einer der
verwüstenden Krisen drin, wie jetzt Jedermann zugiebt, unwissende Bursche»
und feile Klopffechter des Bestehenden ausgenommen.
Leider giebt cs keine amtlichen Statistiken dafür, aber die oben angeführten
Ziffern der deutschen Arbeitsnachweise sprechen eine beredte Sprache. Im
Durchschnitt waren von 1896—99 im Dezember auf 100 offene Stellen 146 Ar
beitsuchende gekommen, im Jahre 1899 !var ihre Zahl rm erwähnten Monat
auf 131 zurückgegangen, im Dezember 1901 dagegen schnellte sie auf 240 in die
Höhe, um 91 pCt. War die Zahl der Arbeitslosen in demselben Maße ge
wachsen, dann hatte sie sich von 800 000 auf 1 600 000 vergrößert!
Und dabei sind wir erst am Anfange der Krise; die schlversten Zeiten liegen
noch vor uns. Selbst die zahmsten, und optimistischsten Sozialreformer schreien
heute angstvoll nach Maßregeln zur Unterstützung der Arbeitslosen, nur dis
Arbeiterfreunde vom Zentralverein deutscher Industrieller mit ihrem Muster-
bürger haben die Stirn, in einer solchen Situation über die Arbeitslosigkeit zu
spötteln und sie als eine Erfindung sozialdemokratischer Phantasie hinzustellen!
Dabei nimmt die Arbeitslosigkeit immer schlimmere Formen an. Namentlich
zwei Umstände kommen hier in Betracht. Einerseits werden die Krisen immer
länger andauernd. Kamen sie ehedem wie ein Geioitter, das rasch vorüberzog,
um einem neuen Aufschwung Platz zu machen, so folgt jetzt jeder Krise eine
längere Depression, ein Zustand trägen Geschäftsganges und hochgradiger
Arbeitslosigkeit, der sich durch eine ganze Reihe von Jahren hinzieht. Je länger
aber die Arbeitslosigkeit dauert, desto tiefer drückt sie den Arbeiter herab, desto
mehr bedeutet sie für ihn die furchtbare Wahl zwischen Bettel, Verbrechen und
Hungertod ! Andererseits trifft die Arbeitslosigkeit immer mehr die älteren
Leute. Wir haben schon gesehen, wie das Kapital und das mit ihm konkurrirends
Kleingewerbe Kinder und junge Leute mit Vorliebe zur Lohnarbeit heranzieht
und eine wahre Gier nach jungem Menschenfleisch entwickelt. Je mehr cs davon
hat, desto eher kann es auf die älteren Arbeiter verzichten. Aber der Arbeiter
wird auch umso früher alt und arbeitsunfähig, je eher er in das Joch der Lohn
arbeit gespannt wird.
„Mit dem Wachsthum der Konkurrenz," sagt Tngan Baranolvslh in seinem
schon erwähnten Buche über die englischen Handelskrisen, „wird das Leben
immer schwerer, iimncr früher wird die Arbeitskraft durch das Kapital konsnmirt
und hört auf, von dem Arbeitsmarkt aufgenommen zu werden." Er zirirt
Hobson, der darlegt, daß es in vielen Industriezweigen, so z. B. im Bergbau,
unter den Matrosen, Spinnern, in der Metallbranche, im Maschinenbau für
einen Mann von 40—60 Jahren thatsächlich unmöglich ist, eine gesicherte Be
schäftigung zu finden. Trotz aller seiner Bemühungen, das Aussehen eines nicht
alten Mannes zu bewahren, fühlt ein solcher Arbeiter, daß die Arbeit feinen
Händen entgleitet; seine Geschicklichkeit Und Erfahrung können ihn nicht bor der
Konkurrenz der jungen Generation retten, die ihn in der Schnelligkeit der Arbeit
und der Muskelenergie überholt".
In England sind nach Charles Booth fast die Hälfte (40—45 pCt.) der
Arbeiter, die über 65 Jahre alt sind, im Armeyhause.
Bei ciuer jeden Krisis sind die alten Arbeiter diejenigen, die zuerst ent