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8S sind die Illusionen des Sparens, nicht das Sparen, was die
Sozialdemokratie bekämpft.
Wenn und soweit aber der Arbeiter heute mehr sparen kann, verdankt er
bas den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie, die ihn organisiert, aufgeklärt
und seinen Einfluß in der Gemeinde und im Staat vermehrt haben, was sich
in dem Wachsthum der Löhne zeigt.
Bürger weiß natürlich auch das wieder besser. Wenn die Sozialdemokraten
erklären, die Verbesserung in der Lage der Arbeiter sei ihrer Partei zuzuschreiben,
so wird „diese Behauptung nur eine neue Unwahrheit zu allen bisherigen sein.
In Wirklichkeit ginge es dem deutschen Arbeitsmann bei
Weitem besser, wenn er sich mit der Sozialdemokratie
garnicht eingelassen hätte".
Den Beweis für diese kühne Behauptung liefert der Anwalt des Scharf
macher-Verbandes durch eine Vergleichung der Löhne in Deutschland mit denen
in Amerika und England. Er beruft sich auf ein „großes Werk" des amerikanischen
Statistikers Caroll Wright, in dem dieser berechnet haben soll, daß der Arbeiter,
um seine nothwendigen Bedürfnisse bei den bestehenden Löhnen zu decken, in
England 209, in Nordamerika 225 und in Deutschland 240 Arbeitstage im Jahre
arbeiten müsse. Der Arbeiter ist also in England und Amerika weit besser daran,
als in Deutschland. In den ersteren beiden Ländern giebt es aber bisher keine
Sozialdemokratie von Belang, demnach fahren die Arbeiter ohne Sozialdemokratie
besser als mit ihr.
„Wo also unsere Sozialdemokraten die Besserung in der Lage der
deutschen Arbeiter als Verdienst der Sozialdemokratie hinstellen wollen, da
möge man die Herren getrost auslachen und auf die unanfechtbare Thatsache
hinweisen, daß sich die Arbeiter gerade in den Ländern am besten befinden,
wo man vom Sozialismus bis zum heutigen Tage nichts wissen will".
Da haben wir die Krone Bürgerscher Wissenschaftlichkeit und Ehrlichkeit,
aber auch seiner Kühnheit. Denn er mutz die Intelligenz der „denkenden
Arbeiter", an die er sich wendet, unglaublich tief einschätzen, wenn er es wagt,
ihnen mit einer solchen Beweisführung zu kommen.
Ist denn das etwas Neues, was er uns da vorbringt? Weiß nicht alle Welt,
daß die Löhne in England und Amerika höher sind als bei uns? Aber wenn
diese Thatsache etwas gegen die Sozialdemokratie beweisen sollte, dann müßte
dieser Lohnunterschied erst eingetreten sein, seitdem es in Deutsch
land eine Sozialdemokratie giebt. Es ist jedoch allbekannt und
selbst unser Bürger muß es wissen, daß diese Unterschiede in der Lohnhöhe
schon lange vor der Sozialdemokratie bestand'en; wenn er
sie ihr trotzdem an die Rockschöße hängen will, so ist das unter den vielen plumpen
Kunststücken unseres statistischen Taschenspielers wohl das plumpste.
Da in England und Amerika die Löhne schon zu einer Zeit höher als in
Deutschland waren, als man von einer Sozialdemokratie noch nichts wußte,
müssen die Unterschiede zwischen hier und dort auf ganz anderen Ursachen be
ruhen. Und sie liegen klar zu Tage. Man hat sie darin zu suchen, daß Deutsch
land ökonomisch und politisch seit dem 17. Jahrhundert bis zum Anfang des 19.
verkam, während England gerade in dieser Zeit in jeder Beziehung in die Höhe
ging, und der Arbeiter Amerikas von allen Lasten befreit blieb, die ihm in
Europa das liebliche Gemisch von fürstlicher, psäffischer, feudaler und
kapitalistischer Ausbeutung auferlegte. Der Aufschwung Englands ist zum Theil
der Veränderung der Handelsioege zuzuschreiben, die seit der Eickdeckung
Amerikas und des Seeweges nach Ostindien vor sich ging, zum Theil aber auch
dem politischen Gang der Dinge. Die Religionskämpfe im 30jähcigen Kriege
zerstampften Deutschland. Diese Känipfe, in denen es sich anscheinend um die
Beligion handelte, waren in Wirklichkeit Kämpfe der kleinen deutschen Fürsten