Full text: Die Vernichtung der Sozialdemokratie durch den Gelehrten des Centralverbandes deutscher Industrieller

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Bürger hak krfumhhirdnv darauf hingewiesen, Latz der Arbeiter für seines 
Lebens Nothdurft in England 209, in Nordamerika 225, in Deutschland 
240 Tage zu arbeiten habe. Es war uns trotz eifrigstens Nachforschens in 
Berliner und Londoner Bibliotheken nicht möglich, des Buches habhaft zu werden, 
auf das er sich beruft, dessen Titel er jedoch verschweigt. Wir wissen daher nicht, 
ob er die Zahlen richtig wiedergiebt und wie sie zu Stande gekommen sind, ob sie 
und das Buch, auf das er sich beruft, auch wirklich existiren. Aber nehmen wir 
sie als richtig an. Danach stände der Neallohn, das heißt die Menge Lebens 
mittel, die für den Geldlohn gekauft werden kann, gegenwärtig in Amerika um 
Nicht ganz 7 pCt. höher als in Deutschland. 
Ueber die Geld- und Neallöhne in Amerika von 1880 erschien 1886 eine 
Lohnstatistik, die Professor Schäffle mit deutschen Statistiken verglich. Er kam 
zu dem Resultat, die Geldlohne seien in Amerika dreifach, die Reallöhne 
wahrscheinlich doppelt so hoch wie in Deutschland. Und heute glaubt 
Bürger seinen stärksten Trumpf gegen die Sozialdemokratie auszuspielen, wenn 
er eine Angabe vorführt, nach der die Reallöhne in Amerika um ganze 
sieben Prozent höher sind als in Deutschland. Ist das richtig, dann sind 
die Reallöhne in Deutschland, wo die Sozialdemokratie so stark, weit rascher 
gestiegen als in Amerika, wo ihr Einfluß noch unbedeutend. 
Weder die Schäfflesche noch die Wrighische Berechnung dürfen buchstäblich 
genommen werden; derartigen Berechnungen hängen immer viele Fehler an. 
Aber alle Thatsachen weisen darauf hin, daß allerdings der Unterschied in der 
Lebenslage zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Arbeiter im 
Schwinden ist, der vor wenigen Jahrzehnten noch so stark war. Und das Gleiche 
gilt vom englischen gegcniiber den: deutschen Arbeiter. Unter der Führung 
der Sozialdemokratie macht dieser immer mehr die Rückständigkeit 
wett, in die ihn ökonomischer Niedergang, Krieg und Knechtung versetzt hatten. 
Es sind leider Einzelthatsachen, die darauf Hinweisen. Statistische Auf 
nahmen der Löhne für ganz Deutschland und längere Zeiträume haben ivir nicht. 
!Die Angaben der Unfallversicherung sind nicht sehr verläßlich. Indeß dürften 
die meisten ihrer Fehlerquellen sich wiederholen, so daß ihre Lohnangabcn 
wenigstens einigeriuaßen die wirkliche Bewegung der Löhne widerspiegeln. 
Da ist es denn sehr bezeichnend, daß im letzten Jahrzehnt die Durchschnitts- 
löhne in England (wie wir oben gesehen) und Amerika ziemlich stabil blieben, 
ja in Amerika die Neigung zum Sinken zeigten; sie betrugen dort nach dem 
Zensusbericht 1780 Mark im Jahre 1889/90 und 1750 im Jahre 1899/1900. 
In Deutschland dagegen st i e g e n die (anrechnungsfähigen) Löhne der gewerb- . 
lichen Arbeiter nach den Angaben der Berufsgenossenschaften durchschnittlich 
von 648 (1890) auf 779 Mark (1900), also um 20 pCt. So unzuverlässig 
diese Prozentzahl sein mag, ein entschiedenes Steigen zeigt sie doch an, das 
wird am allerwenigsten unser Bürger bestreiten wollen, der aufs festeste auf die 
von den Berufsgenossenschaften gelieferten Lohnziffcrn baut. 
Trotzdem das Proletariat in Deutschland viel mehr gesetzlich eingeengt ist 
und seine städtischen Theile durch Zuzug rückständiger Schichten vom Lande viel 
mehr gehenunt werden, als in England, wo es keine Bauern mehr giebt, und in 
Amerika, wo der Zuwachs an Bauern noch unbebautes Land vorfindet, haben 
seine Lohnverhältnisse sich im letzten Jahrzehnt erheblich günstiger entwickelt, als 
in England und Amerika. Also dort, wo die Sozialdemokratie 
am stärksten, steigen die Löhne am meisten. 
Will man das Wirken der Sozialdemokratie am Bürgcrschen Maßstab 
mesien, dann spricht dieser für sie, wenn man nicht die Unterschiede der Löhne, 
die in den zwei Jahrhunderten vor der Sozialdemokratie gebildet wurden, 
sondern das Maß ihres Ansteigens seit dem Wirken der Sozialdemokratie in 
Betracht zieht.
	        
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