Full text: Heimweh: eine Auswahl aus Jung-Stillings Werken mit biographischer Einleitung

Nicht in einem öffentlichen Lehramte sah Stilling 
aber seinen eigentlichen, ihm von Gott verordneten 
Beruf. Erst in dem letzten Drittel seines Lebens trat 
es so recht hervor, wozu er vornehmlich bestimmt war. 
Er hatte neben seinem Amt als Professor noch zwei 
wichtige Arbeitszweige. Zunächst seine wunderbaren 
Staroperationen. Schon in Elberfeld hatte er 
damit begonnen und sie dann später fortgesetzt, wo 
und wann er immer gewünscht wurde. Mehr als 
2000 solcher glücklich gelungenen Operationen hat er 
in seinem Leben ausführen können. Sogar mehreren 
Blindgeborenen durfte er das Gesicht geben. Diese 
Staroperationen führte Stilling meistens aus, ohne 
sich dafür bezahlen zu lassen. Wenigstens nahm er 
von den Armen nichts, obschon er es gut hätte ge 
brauchen können. Nur von den Wohlhabenden nahm 
er Geschenke an. Auf einer Schweizerreise erfuhr er 
eine merkwürdige göttliche Hilfe. Stilling hatte 1650 
Gulden Schulden, die ihn z. T. noch aus seiner küm 
merlichen Elberfeldcr Zeit belasteten. Nun war unter 
den 72 Starblinden, die er in der Schweiz operierte, 
eine Person, die kein Wort von seinen Schulden wußte, 
wenigstens nicht von ferne ahnen konnte, wieviel 
ihrer wären. Nur aus innerem Antriebe, Stilling 
eine bequeme Lage zu verschaffen, bezahlte sie ihm 
ganz genau l650 Gulden für die Staropcraiion und 
die Kur. Als Stilling und seine Frau, die ihn ge 
wöhnlich auf seinen Reisen begleitete, des Abends auf 
ihr Schlafzimmer kamen, fanden sie das Geld teils 
bar und teils in Wechseln auf dem Bette. Mit großer 
Rührung sanken da beide auf die Knie und brachten 
dem feurigen Dank, der dies unaussprechlich wichtige
	        
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