Full text: Heimweh: eine Auswahl aus Jung-Stillings Werken mit biographischer Einleitung

Alle Menschenkenner kommen darin überein, daß 
man dem edlen Manne seinen Adel im Gesicht und 
in seinem ganzen Betragen anmerkt. Es gibt Fürsten, 
die man auch im Bauernkittel „Ew. Durchlaucht" 
anreden würde. Dies gilt vorzüglich von dem weit 
geförderten und im Leiden und Kampf gegen die 
Leidenschaften lang geübten Christen. Alle seine Ge 
sichtszüge, wenn sic auch von Natur noch so wild 
aussehen, sind gemäßigt, sanft, prägen Liebe und 
Ehrfurcht ein. Am schwersten aber hält es, den 
frommen Schwärmer von dem wahren und ver 
nünftigen Glaubenshelden zu unterscbeiden. In 
dessen braucht man nur jenem mit forschendem Blick 
in die Augen zu sehen, so wird man bald seine 
spielende Phantasie bemerken. In den Blicken des 
letzteren aber herrscht Ruhe und Festigkeit. Den 
Heuchler erkennt man bald am Zwang und an der 
Affeklion seiner Mienen; man glaubt Hunde zu sehen, 
die an der Kette murren und einem in die Deine 
fahren, wenn man ihnen zu nahe kommt. 
'X- 
Die Schwärmerei ist eine Art Seelengewohnheit. 
Und es geht in diesem Fall dem Schwärmer wie 
einem, der sich an ein starkes Getränk gewöhnt hat. 
Weil er sich übel befindet, wenn er eine Zeitlang 
nicht trinkt, so glaubt er, das starke Getränk sei ihm 
gesund. Die Vernunft und die Natur mögen dagegen 
einwenden was sie wollen. Gerade so geht es auch 
dem Schwärmer. In seiner Empfindung befindet er 
sich gar wohl und außer derselben übel. O, wie 
ist's darum so unaussprechlich wichtig, sich von Jugend 
auf an richtige und wahre Empfindungen zu gewöhnen! 
57.
	        
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