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liebt, die Hand führt. Wer sich selbst kennt, der weiß,
daß der Egoismus alles verdirbt und daß bloß die
an Gott übergebene Demut wohltätig wirken könne.
Was heißt eigentlich geistlich arm sein? Es
heißt: empfinden, daß es uns an Verstand und Herz
noch mangele, daß man noch ganz arm an Kennt
nissen und an der Liebe zu Gott und dem Nächsten sei.
Demut verhütet alle Kälte im Umgang; und sie
allein ist die Mutter der wahren Liebe.
Der Stolz ist der Stammvater der Sünde. Sein
Weib ist die Schlange. Ihr Sohn der Neid. Und der
Mord ist ihr Enkel. Die Sünde ist eine Melusine, ein
schönes Weib mit einem Drachenscbweif. Die Sinnlich
keit ist ihr Kammermädchen und ihre Kupplerin. Wer
mit dieser buhlt, dem lagert sich jene vor die Tür. Und
ehe er sichs versieht, ist er ibr Sklave. Kämpfe bis
aufs Blut, damit du dieses Otterngezüchtes los wirst.
Der Christ reiset fast immer inkognito. Niemand
sieht's ihm an, was unter dem groben Bettlersmantel
steckt. Das tut aber auch nichts. Wenn er ihn nur
hübsch rein und sauber hält.
Wer donnert mit dem ersten Blitzstrahl den mäch
tigsten Feind darnieder? Wer erobert ohne Wider
stand Königreiche im Reich Gottes? Wer ist's, dem
jeder auf den ersten Wink gehorcht oder dem jeder
Widerstand Ohnmacht ist? Welcher Seraph ist stärker
als Tod und Hölle? Stärker sogar als der Zorn des
Allmächtigen? — Antwort: Der Geist der Liebe!
Wenn auch die christliche Religion kein anderes
Verdienst hätte als dieses, daß sie die Menschen von
den entferntesten Ecken der Erden zusammen in ein