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werfe ich beide fort. Es liegt keine Notwendigkeit
vor, den zweiten Dorn zu behalten, denn beide
sind immerhin nur Dornen. So muß den bösen
Neigungen durch die guten entgegengearbeitet wer
den; und die schlechten Gemütsmerkmale sollten
durch frische Wogen guter Merkmale besiegt werden,
bis die schlechten verschwinden, unterdrückt oder
in einem Winkel des Gemütes im Zaume gehalten
werden; doch danach müssen auch die guten Nei
gungen besiegt werden: aus dem Anhängenden wird
ein Unabhängiger. Handelt, aber laßt die Tat oder
den Gedanken keinen tiefen Eindruck auf das Ge
müt ausüben; laßt die kleinen Wellen kommen;
laßt gewaltige Taten vom Gehirne oder den Muskeln
ausgehen, doch erlaubt ihnen nicht, einen tiefen
Eindruck auf die Seele zu machen. Wie kann das
geschehen ? Wir sehen, daß der Eindruck jeder
Handlung, mit der wir unser Selbst vereinigen,
bleibt. Ich mag tagsüber hundert Personen begeg
nen, doch darunter vielleicht nur einer, die mir
wohlgefällt; und wenn ich mich des Nachts zurück
ziehe und versuche, an alle die Gesichter zu denken,
so erscheint mir nur das eine, das ich eine Minute
lang sah und liebte; alle andern aber sind verschwun
den. Mein Anhaften an diese eine Person verursachte
einen tieferen Eindruck auf mein Gemüt, als alle
anderen Gesichter. Physiologisch sind die Eindrücke
alle dieselben gewesen; ein jedes -dieser Gesichter
spiegelte sich auf meiner Retina; das Gehirn nahm
das Bild auf, und dennoch entstand kein gleicher
Effekt auf das Gemüt. Doch was die Person be