bald mit Schriftzügen bedeckt werde, die wohl lustiger, aber von geringem Werte sind. Welcher
Handwerker läfst nicht seinen Sohn, während er heranwächst, in den Geschicklichkeiten sich üben,
die später seinen Beruf ausmachen sollen? So lehrt der Zimmermann seinen Sohn die Axt führen,
der Schmied den Hammer schwingen, und der, welcher seinen Sohn für. den geistlichen Stand
bestimmt, lälst ihn mit gelehrten Dingen vertraut werden. Also ziemt es sich auch für einen
Fürsten, dafs er seinen Sohn, der nach ihm das Land regieren soll, in den Gesetzen unterweisen
läfst, so lange er noch nicht bei Jahren ist. Wenn die Lenker der Erde so verfahren würden,
so würde die Welt mehr, als es jetzt geschieht, nach Gerechtigkeit regiert werden; wenn aber Ihr,
Prinz, meiner Mahnung folgt, so werdet Ihr andern ein edles Beispiel geben.
Kapitel VII
Als nun der Kanzler schwieg, begann der Prinz also: Ihr habt mich, trefflicher Mann, durch
die Anmut Eurer Rede überzeugt, und habt in mir einen heftigen Durst erregt nach Kenntnis
der Gesetze. Aber zweierlei Dinge beunruhigen meinen Geist, so dafs er, gleich einem Kahne im
stürmischen Meere umhergeschleudert, den Kurs nicbt zu richten vermag. Erstens wenn ich
bedenke, wieviel Lehrjahre die des Rechts-Beflissenen durchzumachen haben, ehe sie genügende Ver-
trautheit mit demselben erwerben, so fürchte ich, die Jahre meiner Jugend ganz dafür opfern zu
müssen. Zweitens weifs ich nicht, ob ich mein Studium auf die englischen Gesetze richten soll,
oder auf die Civilgesetze (das römische Recht), welche in der ganzen Welt so hochberühmt sind.
Denn es ist doch nötig, das Volk nach den besten Gesetzen zu regieren. Hierauf erwiderte der
Kanzler: diese beiden Punkte, mein Prinz, sind nicht so schwieriger Art, dafs sie einer grofsen
Untersuchung bedürfen; darum will ich nicht zögern, Euch meine Ansicht darüber zu sagen.
Kapitel VIIL
Der Philosoph sagt im ersten Buch der Physik: „Jedes Ding erkennen wir dadurch, dafs
wir die Gründe und die Prinzipien derselben bis zu den Elementen erkennen“. Zu diesem
Ausspruch sagt der Erklärer, dafs Aristoteles unter Prinzipien die wirkenden Ursachen verstehe,
unter Gründen aber die Zweckursachen, und unter Elementen Stoff und Form. In den Gesetzen
nun giebt es nicht Stoff und Form, wie in natürlichen Dingen, aber es gieht doch gewisse Ele-
mente, aus denen sie hervorgehn; nämlich Gewohnheiten, Satzungen oder Statuten, und Naturrecht,
aus denen alle Gesetze des Landes abzuleiten sind wie die natürlichen Dinge aus Stoff und Form.
Die Prinzipien oder wirkenden Ursachen sind gewisse allgemeine Sätze, die die Mathematiker und
die englischen Rechtsgelehrten Maximen, die Rhetoriker Paradoxen und die Civilrechtsiehrer Rechts-
regeln nennen. Diese werden nicht durch Beweisgründe oder logische Auseinandersetzungen erkannt,
sondern, wie im zweiten Buche der (Analytica) Posteriora gesagt ist, durch Induktion, mit Hülfe
der Anschauung und des Gedächtnisses. Auch im ersten Buche der Physik sagt der Philosoph:
Prinzipien entstehen nicht aus andern Dingen, noch aus einander, vielmehr entsteht alles andere
aus ihnen. Darum ist es also nötig, die Prinzipien zu erfassen, wenn man sich irgend eine Wissen-
schaft aneignen will. Aus der Erkenntnis der Prinzipien ergeben sich durch vernünftiges Denken
die Zweckursachen. Wenn man also diese drei Dinge, Prinzipien, Gründe und Elemente einer
Wissenschaft begriffen hat, so kann gesagt werden, dafs man auch die Wissenschaft kennt; zwar
nicht vollständig, aber doch im allgemeinen und im Umrifs. So sagen wir, dafs wir die christliche
Religion kennen, wenn wir wissen, was Glaube, Liebe und Hoffnung ist, welches die Sakramente