Full text: Sir John Fortescue: de Laudibus Legum Angliae: ein Gespräch aus dem 15. Jahrhundert über die Vorzüge des englischen Rechts

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menschlichkeit solcher ausgesuchten Martern zu: beschreiben, ist für mich eine zu traurige Aufgabe, 
und es giebt ihrer so verschiedene Arten, dafs es umfangreicher Bände bedürfte, sie. ausführlich 
darzulegen. Auch die Civilgesetze nehmen da, wo in Criminalfällen Zeugen fehlen, ihre Zuflucht 
zur Folter, um die Wahrheit zu ergründen. Dasselbe geschieht in den meisten übrigen Ländern. 
Wo giebt es aber einen so entschlossenen und widerstandsfähigen Mann, der, wenn er einmal 
einer solchen furchtbaren Folter unterworfen gewesen ist, sei er auch ganz unschuldig, sich nicht 
lieber aller möglichen Schändlichkeiten bezichtigt, als dafs er ähnliche Martern noch einmal aushält ? 
Wer stirbt nicht lieber einmal, und befreit sich durch den Tod von aller Angst, als dafs er so 
viele Male höllische Pein erleidet, die schlimmer ist als der Tod selbst? Erinnert Ihr Euch nicht, 
mein Prinz, eines Verbrechers, der auf der Folter einen vornehmen Ritter, einen wackern Mann, 
des Verrats (vermutlich als Lollarde) beschuldigte und behauptete, derselbe wäre mit ihm zu- 
sammen an einer Verschwörung beteiligt, und der auch nach der Folter bei seiner Beschuldigung 
verharrte? Als er aber infolge seiner Marter dem ‘Sterben nahe war und eine Beichte ablegte, 
beleuerte er bei dem ihm gereichten heiligen Leibe Christi und im Angesichte des Todes, jener 
Ritter. sei völlig. unschuldig, er fügte aber hinzu, die Folter sei für ihn so schrecklich gewesen, 
dafs, ehe er sie noch einmal erlebte, er denselben Ritter, ja sogar seinen. eignen Vater, desselben 
Verbrechens beschuldigen würde. Dieser Mann wurde dann gehängt, ‚auf der Richtstätte that er 
aber noch öffentlich. kund, dafs der Ritter unschuldig aller Verbrechen sei, deren er ihn kurz 
vorher angeklagt hatte. So benehmen sich, ach, gar viele Leute auf der Folter, durch die furcht- 
baren Schmerzen verleitet, wider die Wahrheit zu zeugen. . Welches Zutrauen ‚kann man also. wohl 
solchen erprefsten Geständnissen beimessen? Aber selbst angenommen, ein fälschlich angeklaglier 
Mensch habe so viel Mut, und sei so erfüllt von dem Gedanken än das künftige Leben, dafs er 
ırotz aller solcher. Schrecken, wie. einst die drei jüdischen Männer im glühenden Ofen zu Babel, 
Gottes Namen. nicht entweiht und seine Seele nicht durch Lügen der Verdammnis preisgiebt, so 
Jafs der Richter ihn danach für unschuldig erklärt, erklärt dieser Richter nicht in demselben Atem 
sich selbst schuldig der grausamen Mifshandlung, die. solchem Menschen unschuldig zugefügt worden. 
ist? Und wie unmenschlich ist ein Gesetz, das unausweichlich. darauf hinzielt, entweder den Un- 
schuldigen zu verurteilen, oder den Richter der Grausamkeit für schuldig zu erklären! Ein so 
schreckliches Verfahren verdient wahrlich nicht ein Gesetz, sondern ein Weg zur Hölle zu heißsen. 
O Richter! Wo lerntest du dich soweit herabwürdigen, um zur Mifshandlung eines armen Angeklagten 
die. Hand zu bieten! Während doch sogar, wenn ein Mensch, der eines Verbrechens überführt ist, 
die Ausführung des Urteils Elenden übertragen wird, Leuten; .die den Abschaum der Menschheit 
bilden, und durch dieses Amt für immer ehrlos und unfähig werden, vor Gericht zu erscheinen. . Auch 
Gott läfst seine Strafgerichte an den Verdammten nicht von Engeln, sondern von Teufeln ausführen, 
im Fegefeuer werden die Seelen, die geläutert werden sollen, nicht durch gute, sondern böse Geister 
gepeinigt. Vielleicht sagt der Richter: „Ich lege nicht selbst Hand an bei der Ausübung der 
Folter“. ‚Aber was macht das aus, wenn er doch zugegen ist und durch wiederholte Anordnungen. 
die Folter verschärfen läfst. Der Kapitän bringt das Schiff in den Hafen, wenn auch andere auf 
sein Geheifs steuern. Ich begreife nicht, wie die Wunde, die ein solcher Richter seinem Gewissen 
schlägt, jemals wieder heilen kann, da doch die bitteren Qualen, die er Unschuldigen bereitet hat, 
nie. aus seiner Erinnerung getilgt werden können.
	        
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