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£inkommen, beiden Parteien genehm und dem Thatorte benachbart, nach der oben geschilderten
Weise vereidigt worden sind, so werden ihnen in englischer Sprache seitens des Gerichts aus-
führlich die Natur des Rechtsstreits und die gerichtlichen Eintragungen (records) zu demselben
vorgetragen und der streitige Punkt bezeichnet, betreffs dessen sie die Wahrheit feststellen sollen.
Danach mufs jede der Parteien entweder persönlich oder durch ihren Rechtsbeistand vor dem Ge-
richtshof alle Umstände und Beweismittel auseinandersetzen, durch welche sie denselben von dem
ihrerseits behaupteten Sachverhalt überzeugen zu können glauben. Danach steht es den beiden
Parteien frei, dem Gericht so viel Personen als Zeugen vorzuführen*), wie dieselben herbei-
schaffen können oder wollen; diese werden vereidigt und müssen alles sagen, was sie über die
streitige Thatsache wissen; wenn es nötig ist, werden diese Zeugen bis zur Beendigung ihrer Aus-
sage von einander getrennt, damit der eine sich nicht durch die Aussage des andern leiten und
drängen läfst. Wenn so das ganze Beweismaterial durchgenommen ist, so beraten die Geschwornen
frei mit einander über die gestellte Frage, so lange sie wollen, in einem ihnen dazu angewiesenen
Raum, dessen Eingang durch Gerichtsbeamte besetzt wird, damit niemand versucht, sie auf heim-
liche Weise in ihrer Meinung zu beeinflussen. Schliefslich kommen sie wieder vor den Gerichts-
hof und geben auf die vorgelegte Frage in Gegenwart der Parteien, falls diese gegenwärtig sein wollen,
besonders des Klägers, ihren Spruch ab. Was die Geschworenen nach englischen Gesetzen so bekunden,
nennt man den Wahrspruch (verdict). Auf Grund dieses Wahrspruchs müssen die Richter ihr
Urteil bilden und verkünden. Wenn indessen die Partei, gegen welche der Wahrspruch lautet,
sich durch denselben unrechtmäfsig beschwert fühlt, so kann sie einen Befehl auf Ehrentziehung
%writ of attaint) sowohl gegen die Jury wie gegen die obsiegende Partei erwirken, wonach, falls
es sich nach dem Urteil von vierundzwanzig Männern — die in gleicher Weise ernannt, ausgewählt
und vereidigt worden sind, aber noch ein viel höheres Einkommen haben müssen als die erst-
genannten — ergiebt, dafs die ursprünglichen Geschworenen einen Wahrspruch im Widerspruch
mit ihrem Eid abgegeben haben, jeder derselben ins Gefängnis geworfen wird, ihre bewegliche
Habe confisciert, ihr Landbesitz vom König mit Beschlag belegt wird, ihre Wohnungen und Häuser
niedergerissen, ihre Waldungen niedergeschlagen, ihre Wiesen umgepflügt werden, und sie selbst
fernerhin vor dem Gesetz für immer ehrlos sind und vor keinem Gerichtshof als Zeugen zugelassen
werden. Die geschädigte Partei soll alles wieder erhalten, was sie durch den falschen Wahrspruch
eingebülst hat. Wer möchte nun nicht, selbst wenn er nicht genug Gewissen und Ehrgefühl
haben sollte, einen gerechten Wahrspruch abgeben, im Hinblick auf die schwere Sirafe, die ihm
sönst droht? Und wenn vielleicht der eine oder andre von den Geschworenen wahnwitzig seinen
Ruf aufs Spiel zu setzen wagen könnte, werden doch die übrigen ihren guten Namen und dazu
1) Hier haben wir das wichtige Zeugnis dafür, dafs zu Forteseues Zeiten die Geschworenen im Civil-
prozefs nicht mehr nur nach ihrem eignen Wissen aussagen, sondern die ihnen mündlich vor Gericht vorgetragenen
Zeugenaussagen andrer zu beurteilen hatten. Dennoch zeigt die wiederholte Bezeichnung der Geschworenen als
„Zeugen“ (worauf ja auch die ganze Parallele mit dem römischen Verfahren beruht), dafs sie sich in erster Linie
auf die eigne Kenntnis des Vorfalls, die sie als Nachbarn haben mufsten, stützten. Dies ist also eine Übergangs-
stufe zwischen dem unter Heinrich II, ausgebildeten Verfahren, wonach die zwölf vereidigten Männer lediglich
Zeugen waren, und dem modernen System, wonach sie nur auf Grund des im Gerichtshof vorgebrachten Be-
weismaterials (evidence) ihr Verdikt abzugeben haben. — Mit der Ausbildung des letztern ist naturgemäls die Be-
dingung der Nachbarschaft in Wegfall gekommen; damit auch die Notwendigkeit, für jeden Prozefs eine besondere
Jury zu ernennen.