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auch schon durch zwei Zeugen bewiesen werden kann, wenn kein andrer Weg möglich ist, er-
kennen die englischen Gesetze auch an; z. B. wenn Handlungen auf der hohen See begangen sind,
aufserhalb des Bereichs einer Grafschaft, und solche Handlungen vor dem Gericht des Lord Admiral
durch Zeugen bewiesen werden müssen. Ebenso ist das Verfahren vor dem Lord Constable und
Earl Marshall betreffs einer im Auslande (z, B. in Frankreich von Engländern) verübten Hand-
‚ung, zu deren Aburteilung der (militärische) Court of Chivalry zuständig ist. Gleichermafsen findet
Beweis durch blofses Zeugenverhör statt in den Gerichten gewisser eximierter Bezirke Englands,
wo man das Handelsrecht (Law Merchant) anwendet, wenn es sich um aufserhalb des König-
reichs zwischen Kaufleuten geschlossene Verträge handelt?). Der Grund ist, dafs in derartigen Fällen
‘n der Nachbarschaft keine genügende Anzahl von Personen ‚vorhanden ist, um eine Jury von zwölf
Männern zu bilden. Ebenso sollen, wenn eine Urkunde, in welcher Zeugen erwähnt sind, dem
Gericht vorgelegt wird, diese Zeugen vorgeladen werden, und diese sollen in Gemeinschaft mit einer
Jury?) auf ihren Eid aussagen, ob die Urkunde der Person zukommt, die sie geltend macht. So
zeigt sich, dafs das englische Recht kein andres Rechtsverfahren, in welchem die Wahrheit durch
Zeugenverhör gefunden wird, verwirft, sobald der Fall dies notwendig macht. Ähnlich verfahren
englische Gerichte auch noch in andern Fällen, aber niemals entscheiden sie einen Prozefs nur
lurch Zeugen, wenn derselbe durch eine Jury von zwölf Männern entschieden werden kann, da
dies die beste und wirksamste Methode ist, die Wahrheit zu finden; und in dieser Beziehung kann kein
Recht sich mit dem englischen vergleichen. Dieses Verfahren ist weniger dem falschen Zeugnis, der
Bestechung oder andern Kniffen ausgesetzt als irgend ein andres; es kann auch nicht aus Mangel
an Zeugnissen fehlschlagen; einem vor ihnen stattfindenden Zeugenverhör kann sein Gewicht nicht
willkürlich geschmälert werden, denn zwölf Geschworene können nicht insgesamt eidbrüchig ver-
fahren, da sie für ein solches Verbrechen die schwerste Strafe zu erwarten haben und die durch sie ge-
schädigte Partei ihr Recht doch erhält; es wird nicht nach dem Belieben und auf Verlangen fern-
stehender oder ganz unbekannter Leute verfahren, sondern auf die eidliche Aussage ehrenhafter,
angesehener und vertrauenswürdiger Männer, die ihren guten Ruf zu hüten haben, Nachbarn der
Parteien sind, und gegen deren Wahrspruch kein Einwand oder Argwohn geltend gemacht werden
kann. © was für Schändlichkeiten geschehn nicht oft infolge davon, dafs nur auf Grund von
Zeugenaussagen gerichtet wird! Wenn ein Mann heimlich eine Ehe eingeht und nachher vor Zeugen
ain andres Weib freit, so wird er im Streitverfahren (in foro contentioso) gezwungen werden, die
Ehe mit der letztern zu führen, im Bufsverfahren (in foro penitentiali, als Ehesache beidemal vor
ainem geistlichen Richter), wird er, wenn er in gehöriger Form belangt wird, verurteilt werden,
mit der ersteren zusammenzuleben, und jedesmal in Strafe genommen werden, wenn er wegen
Zusammenlebens mit der zweiten, der er zugesprochen ist, angeklagt wird, und dies selbst dann,
wenn in beiden Gerichten derselbe Richter sitzt. Dieser Mann wird von da ab mit keiner der beiden
Frauen, ja mit keiner überhaupt Gemeinschaft haben dürfen, ohne sich der Verfolgung auszusetzen.
1) Die genannten Gerichte, Admiralitätsgericht, Kriegsgericht, Handelsgericht folgen mehr oder weniger
dem römischen jus gentium ebenso das Billigkeitsgericht der Reichskanzlei. ;
2) Hier haben wir also eine durch Zuziehung von Urkundzeugen verstärkte Civiljury. Dies war historisch
der erste, schon zu Bractons Zeit, 1250, erfolgte Schritt zur Umwandlung der Zwölfmännerkommission ‚von
Nachbarzeugen in eine Jury im ımodernen Sinne. Denn die hinzugezogenen Zeugen unterschieden sich von den
zwölf Geschworenen dadurch, dafs gegen sie die Parteien keinen Einspruch erheben konnten, und dadurch, dals
ıhre Mitwirkung beim Verdikt unterblieb.