24
Eine solche Ungeheuerlichkeit kann aus dem Verfahren nach‘ englischem Recht nie hervorgehn,
ınd wäre der Böse selbst im-Spiel. Seid ihr nun nicht überzeugt, erlauchter Prinz, dafs, je
mehr Einwände Ihr gegen das Recht Eures Landes erhebt, es desto herrlicher und liebens-
werter erscheint?
Kapitel XXXIH.
Prinz. Ich sehe es, und erkenne aus dem angeführten Beispiel, dafs die Gesetze Englands
ıllen anderen vorzuziehen sind. Dennoch habe ich gehört, dafs einige der Könige von‘ England,
meine Ahnen, mit den bestehenden Gesetzen unzufrieden, bestrebt gewesen sind, die Civilgesetize
mn England einzuführen und das überlieferte Recht zu ändern. Welche Absicht sie dabei gehabt
haben, vermag ich nicht zu erkennen.
Kapitel XXXIV.
Ihr werdet Euch darüber nicht wundern, mein Prinz, sobald Ihr geruht, ernsthaft die
Natur und den Anlafs dieses Versuchs zu erwägen. Ich habe Euch schon angedeutet, dafs sich
im GCivilrecht ein sehr berühmter und wichtiger Ausspruch befindet, nämlich: Quod principi placuit,
jegis habet vigorem. Die Gesetze Englands erkennen diesen Satz oder einen dem ähnlichen nicht
an, denn der König dieses Landes herrscht nicht nur königlich, sondern verfassungsmäfsig, und
äemnach verpflichtet er sich durch einen Eid bei seiner Krönung dazu, die Gesetze desselben zu
beobachten, Hiermit nun sind einige englische Könige unzufrieden gewesen, und haben gemeint,
dafs sie ihre Herrschaft nicht so frei ausübien, wie es die nur königlich regierenden Herrscher
ihun, welche ihr Volk nach dem Civilrecht, insbesondere gemäfs jenem vorerwähnten Grundsatz
beherrschen, also nach eignem Belieben die bestehenden Gesetze ändern, neue Gesetze geben, ihren
Unterthanen Strafen und Lasten auferlegen, ja sogar, wenn sie wollen, nach eignem Gutdünken
Jie Prozesse zwischen zwei Parteien entscheiden. Darum num waren Eure Vorfahren bestrebt,
Jieses Joch der Verfassung abzuschütteln, und, sowie jene, nur königlich über ihre Unterthanen
zu herrschen, oder, ‘ besser gesagt, nach Laune und Willkür zu schalten, ohne zu bedenken, dafs
lie Macht beider Arten von Königen gleich ist, nur dafs es nicht ein Joch, sondern vielmehr eine
Freiheit ist, ein Volk verfassungsmäfsig zu regieren, eine sehr grofse Sicherheit nicht nur für das
Volk sondern auch für den König selbst, und eine nicht geringe Verminderung seiner Sorgen.
Damit Ihr dies aber deuilicher erkennt, so betrachtet, mein Prinz, die Erfahrungen aus jeder der
jeiden Regierungsweisen, und zwar wollen wir, als Beispiel einer nur königlichen Regierung, sehn,
wie der König von Frankreich über seine Unterthanen herrscht; danach, wie dies der König von
England thut.
Kapitel XXXV.
Erinnert Euch, mein erhabener Prinz, wie Ihr die Dörfer und Städte in Frankreich, dieses
an Bodenerzeugnissen so reichen Landes, fandet, als Ihr in demselben umherreistet. Sie waren
Jurch Kriegsleute des Königs und deren Pferde so überfüllt, dafs es Euch selbst in gröfseren
Städten kaum möglich war, Unterkommen zu erhalten, und die Einwohner erzählten Euch, dafs
jene Kriegsleute, auch wenn sie in demselben Ort einen oder zwei Monate hindurch lägen, nicht
das Geringste für ihre Verpflegung bezahlten oder auch nur zu bezahlen sich erboten, vielmehr
nötigten sie die Einwohner, wenn es diesen selbst an Wein, Fleisch oder andern Lebensmitteln
gebrach, auf eigne Kosten aus den benachbarten Ortschaften kostspielige Nahrungsmittel herbei-