Object: Betrachtungen über Frankreich

Kapitel 2 
833 
Kapitel 2. 
Mutmaßungen über die Wege der Borfehung in 
Der franzöfiihen Revolution. 
Sedes Bolk wie jeder einzelne Menfch- hat eine Aufgabe zıt er- 
füllen. Frankreich ift gleichfam die Lehrmeifterin Europas. Dies 
u beftreiten wäre zwedlos. Aber es Hat diefe Stellung Höchft ver- 
brecherifch mißbraucht. € ftand vor allem an der Spike des Reli- 
gionsfyjtems: nicht ohne Grund hieß fein König „der allercdhriftlichfte“. 
Boffuet hat hierüber nicht zuviel gefagt. Da es nun aber feinen 
Einfluß benugt hat, um feinen eigenen Beruf Lügen zu {trafen und 
Europa zu entfittlicdhen, darf es fidh nidht wundern, daß e8 durch 
furchtbare Mittel auf den rechten Weg zurücdgebradht wird. ‚8 
Schon lange hat man fein jo furchtbares Strafgericht über fo 
viele Schuldige gefehen. Sewiß waren unter den Unglüclichen auch 
Unjchuldige, aber weit weniger, als man insgemein annimmt. 
ANe, die daran gearbeitet Haben, das Volk von feinem Gottesglauben 
zu befreien, alle, die die Gejeke des Eigentums mit metaphyfifchen 
Trug[{hlüfjen befämpft Haben, alle, die da gefagt haben: „Schlagt zu, 
wenn wir nur dabei gewinnen“, alle, die an den Grundgefebßen des 
Staates gerührt, alle, die die Gemwaltmaßnahmen gegen den König 
ujw. angeraten, gebilligt, begünftigt haben — fie alle haben die 
Kebolution gewollt, und alle, die fie gewollt haben, find ihr fehr ge= 
rechtermweije zum Opfer gefallen — felbit nach unferer befhränkten 
Einficdht. 
Man HNagt, daß berühmte Gelehrte unter Robespierres Fallbeil 
fielen. Menfchlidh kann man fie nicht genug beflagen, aber die gött- 
lide Gerechtigkeit nimmt nicht die geringite Rückhficht auf Mathe- 
matifer oder Bhyfiker. Zu viele franzöfifhe Gelehrte gehören zu den 
Hauptförderern der Revolution; zu viele franzöfijhe Gelehrte Kiebten 
und begünftigen fie, folange fie, wie der Stab des Tarquinius, nur 
die herr{dhenden Häupter traf, Sie fagten wie fo viele andere: „Eine 
große Revolution bringt notwendig großes Unglück mit fih.“ Wenn 
aber ein Philofoph fidh angefichts der Ergebnifje über dies Unglück 
tröftet, wenn er in feinem Herzen jagt: „Mögen Hunderttaufend ge- 
mordet werden, wenn wir nur frei find“, und wenn dann die Vor- 
jebung ermidert: „FH nehme deine Zufjtimmung an, aber dır follft 
au) dazu gehören“ — wo i{t dann das Unrecht? Würden unjere 
Serichte anders urteilen? 
Yofeph de Maiitre.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.