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In Oesterreich regierte der humane Kaiser Joseph II. In
Deutschland hatte Lessing mit seinem Nathan das Evangelium
der Toleranz gepredigt; sein Freund Moses Mendelssohn war
seinen Glaubensgenossen mit einem glänzenden Beispiele voran
gegangen, indem er ihnen den Weg zeigte, den sie gehen mußten,
um sich die Achtung und die Liebe ihrer Nebenmenschen zu er
werben, und Preußens Thron zierte ein junger Philosoph,
welcher proklamirt hatte: daß in seinem Staate jeder Mensch
nach seiner Faaon selig werden kann. Obgleich kein besonderer
Judenfreund, entschied er doch im Jahre 1746 zu Gunsten
der Breslauer Judenschaft: — „daß diejenigen, welche durch
ihren Handelsbetrieb der Industrie und Produktivität des
Landes förderlich wären, von jeder lästigen Fessel frei sein
sollten. "*)
Ein Frühlingshauch der Freiheit wehte durch die Länder,
ein herrlicher Morgen war angebrochen und man hörte das
harmonische Glockengeläute der Menschenrechte von allen Seiten.
Unter solchen Verhältnissen singen die Juden in Breslau an,
sich heimisch niederzulassen und nach und nach Einrichtungen
zu treffen und Institute zu gründen, die bis in die Gegenwart
hereinragen, obgleich sie hin und wieder durch mittelalterliche
Reminiscenzen an ihrer gedeihlichen Entwickelung gehindert
wurden.
Am Anfange des achtzehnten Jahrhunderts sollen schon
zehn Synagogen in Breslau gewesen sein,**) aber das waren
aller Wahrscheinlichkeit nach nur kleine Betstuben und zwar für
die ab und zu hier anwesenden Juden aus der Umgegend, denn
im Jahre 1722 waren überhaupt nur 775 jüdische Seelen hier
ansässig. Es ist jedenfalls ein Beweis, daß es stets ihr erstes
Werk war, sich irgendwo, wenn auch in verborgenen Winkeln,
zum Gottesdienst zu versammeln und ebenso waren sie stets
bedacht, ihren leidenden Brüdern beizustehen.
Schon im Jahre 1724 hat sich hier ein Verein unter dem
Namen „Krankenbesucher und Verpfleger" gegründet, der jedoch
*) Menzel
**) Nach Grünhagen und Menzel.