Full text: Zeitbilder aus der Geschichte der Juden in Breslau

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selb — und Schutzgenossen eintheilte. Die Oberaufsicht über 
dieselben hatte eine aus städtischen Beamten und zwei Kauf 
leuten bestehende „Judenkommission"; ein von zwei städtischen 
Beamten verwaltetes „Judenamt" zog die Einkünfte ein und 
überwachte den Zuzug, und Aelteste, auf drei Jahre gewählt, 
verwalteten die Gemeindeangelegenheiten. Alle fremden, zur 
Stadt kommenden Juden mußten sich am Thore melden und 
erklären: wie lange sie hier bleiben wollten und 1 Thaler — 
Weiber und Knaben nur 12 Groschen — Eintritt zahlen, wo 
für sie vier Tage oder den ganzen Jahrmarkt hindurch bleiben 
durften; über die vergönnte Zeit hinaus entrichteten sie „Tages 
groschen", oder wenn sie in den Vorstädten übernachteten, 
„Schlafkreuzer"; polnische und russische gingen als Handelsjuden 
frei ein*). Erst im Jähre 1760 bekamen sie die Genehmigung 
zu einem Gemeindehaus, einem eigenen Lazareth und einem 
Friedhof, auf welchem am 6. Mai 1762 die erste Leiche be 
stattet wurde. 
Man kann nicht sagen, daß diese Zustände besonders ver 
lockend waren, da ja nicht alle das Glück hatten, polnische 
Handelsjuden zu sein,' aber sie glichen doch einem aus dunkeln 
Wolken hervorbrechendem Sonnenstrahl, der die trüben Nebel 
zerstreut. An Beschränkungen jeder Art waren die armen Juden 
von jeher gewöhnt und sie gingen vertrauensvoll einer besseren 
Zukunft entgegen. Der Einfluß Mendelssohns war nicht spur 
los an ihnen vorübergegangen und das alte Judenthum fing 
auch hier an, neue Formen anzunehmen. So wie Friedrich II. 
den Breslauern ein Vaterland gab, indem er ihre Sonder 
stellung zerstörte, die Jahrhunderte ihre Berechtigung gehabt, 
diese aber längst verloren hatte, so hat auch Mendelssohn den 
Juden in Deutschland eine Sprache gegeben, indem er die Bibel 
in ein reines Deutsch übersetzte, welche das alte Kauderwälsch 
verdrängen sollte. 
Das war ein gewaltiger Schritt, von welchem die An 
hänger des Altherkömmlichen zum allerwenigsten den Untergang 
*) Die Juden wurden als eine Waare betrachtet, die man beim 
Eintritt in jeden Ort gleichsam veraccisen mußte. Zinnnermann 83.
	        
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