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eine Aenderung vorgenommen zu sehen. Und in der That war
derselbe Gedanke in mehreren Mitgliedern zugleich aufgetaucht
und man entschloß sich einen Seelsorger zu wählen, der vielleicht
neben dem Rabbiner als Prediger fungiren sollte.
Di-. Abraham Geiger wurde in Vorschlag gebracht und be
rufen. Er kam, und nachdem man ihn einmal gehört hatte, war
alles voller Begeisterung für ihn. Noch nie hatte man hier von
der Kanzel herab einen solchen Redner vernommen, und seine
Zuhörer fühlten sich hingerissen von dem Zauber seiner Sprache.
Er wurde (1834) gewählt und es ist allgemein bekannt, welche
Veränderungen seit dieser Zeit in der Gemeinde stattgefunden
haben. Seine Anhänger vermehrten sich dermaßen, daß sie
später einen Synagogenverein gründeten, dem die Gesellschaft
der Brüder freiwillig das neue Gotteshaus überließ unter der
einzigen Bedingung:
„daß die Todtenfeier für ihre verstorbenen Mitglieder in
demselben unentgeltlich abgehalten werde."
Es ist nicht anzunehmen, daß sich das alles so gleichgültig
abgespielt hat und es wird in der That berichtet, daß sich eine
kleine Partei gebildet hatte, die an dem Altherkömmlichen nicht
rütteln lassen wollte und die sich (1843) mit Tiktin nach dem
Tempel zurückzog. Seit dieser Zeit bestehen hier gewissermaßen
zwei Religionsparteien: eine fortschrittlich gesinnte und eine
altgläubige.
Wenige Jahre nach diesem Ereignis; hat sich hier noch eine
andere und in mancher Beziehung viel bedeutendere Thatsache
als die genannte abgespielt. Hierbei handelte es sich blos um
die Art und Weise des Gottesdienstes an einem gewissen Ort:
in jenem um Wohlthaten, die allen Bedürftigen zu Gute kommen
und die weit über die Grenzen Breslaus hinausgehen.
Im Jahre 1846 starb der königliche Commerzienrath Jonas
Fränkel, welcher letztwillig sein ganzes bedeutendes Vermögen
milden Stiftungen und wohlthätigen Zwecken überwiesen hatte.
Tausende von Menschen, die diesen Stiftungen Heilung in Krank
heit, sowie Obdach in Noth und Alter, Schutz in verlassener
Kindheit, Unterstützung bei Erlernung imb Ausbildung einer