Full text: Zeitbilder aus der Geschichte der Juden in Breslau

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in einen rasenden Strom verwandelte, dessen Wogen sich hoch 
aufthürmten und schäumten uicd tobten und die blühenden Fluren 
rund umher zerstörten und alles mit sich fortrissen, was ihnen 
in den Weg kam. So hatte sich mit einem Male alles im Lande 
getrübt und verdunkelt und man glaubte sich zurückversetzt in 
Zeiten, die man nie wiederzusehen hoffte. Das veranlaßt mich, 
wenn auch nur flüchtig und mit wiederstrebendem Gefühl, noch 
einen einzigen Punkt in der Entwickelungsgeschichte der Juden 
in Breslau zu berühren, sonst wäre das Bild nicht vollständig. 
Es war eine bedauerliche, unsere Zeit nicht ehrende Be 
wegung entstanden, von welcher leider auch Breslau nicht ver 
schont geblieben ist. Man nannte sie ganz einfach, aber be 
zeichnet genug: eine Judenhetze. 
Wir sprechen von dem barbarischen Vergnügen eines Stier- 
gefechts; fühlen Mitleid, wenn der Negersklave von seinem 
grausamen Besitzer, dessen Mißhandlung sein Negerherz empört, 
die Flucht ergreift und von diesem mit seinen Bluthunden ge 
hetzt wird, und hier, im gesitteten Lande, wurde eine Menschen 
hetze in Scene gesetzt. Wem fällt hier nicht das Säumische 
Gedicht „Der Wilde" ein. 
Wer hätte denken sollen, daß das in unserem Jahrhundert 
und in Deutschland noch möglich gewesen wäre! Und doch 
war es so, aber warum? Ja. warum? Das Orakel von 
Delphi schweigt, und kein Gott giebt Antwort auf diese Frage, 
und was die Menschen darüber sagen, ist lieblos, böswillig. 
Breslau — es wäre Unrecht, das Odium ans sämmtliche 
Einwohner zu werfen — nein, nicht Breslau, sondern einige 
in dieser Stadt wohnende Männer, die auch ihren Anhang 
fanden, ließen es sich nicht nehmen, auch hier einen Herd zu 
errichten, ans welchem vergiftete Pfeile geschmiedet wurden. 
„Der jüdische Referendar" und andere, ähnliche, haßerregende 
Schmähschriften wurden hier fabrizirt und in jeden: öffent 
lichen Lokal und aus der Straße feilgeboten. Auch zündende 
Reden wurden in großen Versammlungen gehalten und wer 
erinnert sich nicht der famosen Rede des Freiherrn Dr. v. 
Stengel? Ein Beitrag zur Beförderung der Menschenliebe sind
	        
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