Full text: Die Frauen und das politische Leben

19 
verantwortlicheren Anteil gibt. Wenn da beklagt wird, wie die 
kulturpolitische Tätigkeit des Staates in einen geisttötenden 
Schematismus ausarte, ivie wir uns gewöhnt haben, die Ver 
vollkommnung der Dinge an Stelle der Durchbildung der 
Persönlichkeit zu setzen, — wenn soziale Humanität, eine 
regere Vermittlung geistiger Güter an die unteren Volksschichten, 
die Verstärkung der intuitiven an Stelle der analytischen, 
verstandesmäßigen Kräfte in unserer Kultur gefordert wird, 
so wird in mancher Frau bei diesem Appell die Ahnung 
schlummernder Kräfte sich regen, die gerade diese Aufgaben 
ergreifen könnten. 
Und damit komme ich zum Schluß meiner Ausführungen, 
zu der Frage: was nützt dem Staat die bürgerliche Be 
freiung, d. h. eine selbständigere, verantwortlichere Mitarbeit 
der Frau an seinen Aufgaben? 
Die große Führerin der amerikanischen Frauenstimmrechts- 
beivegung, Susan B. Anthony, hat ihr unzählige Male aus 
gesprochenes Glaubensbekenntnis, das Leitmotiv ihres ganzen 
Lebens, in den Worten niedergelegt: „Ich glaube fest und ganz 
an die Offenbarung, daß das Menschengeschlecht durch die Frau 
erlöst werden wird, und aus Grund dieses Glaubens fordere ich 
die unbedingte und sofortige Befreiung der Frau von jeder 
politischen, industriellen, sozialen und religiösen Hörigkeit". 
Wer sie je gesehen hat, versteht vollkommen die tiefe religiöse 
Hingebung dieser Worte und den Grund, auf dem ihr diese 
Überzeugung erwuchs: aus einen: selbstlosen, reinen Herzen, 
erfüllt von dem instinktiven Drang zu helfen, den man als 
Hauptinhalt des Wortes „weiblich" zu denken geivöhnt ist. 
Selbstverständlich ist von keinem Mann zu verlangen, daß 
er an dieses Wort glaube. Ja, wir selbst, wir Frauen eiues 
Volkes mit größerer historischer Bildung, wir Menschen einer 
Zeit mit nüchternerem Blick für politische Realitäten, wir ver 
mögen uns vom Frauenstimmrecht ebensowenig den Himmel 
auf Erden zu versprechen, als von irgendeiner andern poli- 
2*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.