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verantwortlicheren Anteil gibt. Wenn da beklagt wird, wie die
kulturpolitische Tätigkeit des Staates in einen geisttötenden
Schematismus ausarte, ivie wir uns gewöhnt haben, die Ver
vollkommnung der Dinge an Stelle der Durchbildung der
Persönlichkeit zu setzen, — wenn soziale Humanität, eine
regere Vermittlung geistiger Güter an die unteren Volksschichten,
die Verstärkung der intuitiven an Stelle der analytischen,
verstandesmäßigen Kräfte in unserer Kultur gefordert wird,
so wird in mancher Frau bei diesem Appell die Ahnung
schlummernder Kräfte sich regen, die gerade diese Aufgaben
ergreifen könnten.
Und damit komme ich zum Schluß meiner Ausführungen,
zu der Frage: was nützt dem Staat die bürgerliche Be
freiung, d. h. eine selbständigere, verantwortlichere Mitarbeit
der Frau an seinen Aufgaben?
Die große Führerin der amerikanischen Frauenstimmrechts-
beivegung, Susan B. Anthony, hat ihr unzählige Male aus
gesprochenes Glaubensbekenntnis, das Leitmotiv ihres ganzen
Lebens, in den Worten niedergelegt: „Ich glaube fest und ganz
an die Offenbarung, daß das Menschengeschlecht durch die Frau
erlöst werden wird, und aus Grund dieses Glaubens fordere ich
die unbedingte und sofortige Befreiung der Frau von jeder
politischen, industriellen, sozialen und religiösen Hörigkeit".
Wer sie je gesehen hat, versteht vollkommen die tiefe religiöse
Hingebung dieser Worte und den Grund, auf dem ihr diese
Überzeugung erwuchs: aus einen: selbstlosen, reinen Herzen,
erfüllt von dem instinktiven Drang zu helfen, den man als
Hauptinhalt des Wortes „weiblich" zu denken geivöhnt ist.
Selbstverständlich ist von keinem Mann zu verlangen, daß
er an dieses Wort glaube. Ja, wir selbst, wir Frauen eiues
Volkes mit größerer historischer Bildung, wir Menschen einer
Zeit mit nüchternerem Blick für politische Realitäten, wir ver
mögen uns vom Frauenstimmrecht ebensowenig den Himmel
auf Erden zu versprechen, als von irgendeiner andern poli-
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