Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

§ 5. Von den irasziblen Leidenschaften im besondern. 
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Die Furcht kann verschiedener Art sein, je nachdem sie sich auf 
unser eigenes Handeln oder auf äußere Dinge als ihren Gegen 
stand bezieht. Ist unser eigenes Handeln Gegenstand unserer 
Furcht, so wird diese vor dem Handeln zur Zaghaftigkeit oder 
zur Scham (Verschämtheit, Schüchternheit, Blödigkeit). Die Zag 
haftigkeit besteht in der Furcht vor der Größe oder Schwierigkeit 
der vorzunehmenden Handlung, die Scham (xuckvr) in der Furcht vor 
der Schimpflichkeit derselben. In diesem Sinne sagen wir, jemand 
schäme sich, etwas zu tun oder zu sagen. Nach geschehener Tat entsteht 
die Beschämung (verecimdia), d. h. die Furcht vor Einbuße an 
fremder Achtung wegen der begangenen schimpflichen Tat. Das Kind 
schämt sich, wenn es etwas Schimpfliches getan hat, und sucht infolge 
dessen die Verborgenheit. Sowohl Scham als Beschämung äußern sich 
durch Errötens Beide Affekte können, obwohl sinnlicher Natur, nur 
im Menschen entstehen, weil sie die geistige Erkenntnis voraussetzen. 
Das Tier verrät nie Scham und errötet nie. So ist (S. &J---32 *) die 
Scham ein Beweis, daß im Menschen ein höheres Prinzip waltet, 
welches sich vor gewissen Handlungen wie vor Erniedrigungen seines 
angebornen Adels sträubt und sie deshalb fremden Blicken zu verbergen 
sucht. Hätten wir nicht das Bewußtsein unserer geistigen Würde, so wäre 
das Schamgefühl unerklärlich und zwecklos. Fassen wir dagegen die 
Würde des Menschen als Vernunstwesen ins Auge, so erkennen wir 
sofort die Zweckmäßigkeit desselben. Es ist gewissermaßen als Schild 
wache vor die stärksten sinnlichen Triebe gestellt. Selbst sinnlicher Natur, 
wird es bei den kleinsten Gefahren, den ersten Regungen der niederen 
Triebe wach und mahnt durch sein unwillkürliches Sträuben die Ver 
nunft an ihre Pflicht, zu überlegen, was sich für den Menschen als Ver 
nunftwesen geziemt, und den Willen, nur so weit die sinnlichen Triebe 
zu befriedigen, als sie den Anforderungen der Vernunft entsprechen. 
Natürlich kann das Schamgefühl, wie alle andern Gefühle, gepflegt und 
vermehrt oder abgestumpft werden. 
Bezieht sich die Furcht auf äußere größere Übel, denen wir nur 
schwer zu widerstehen vermögen, so verzweigt sie sich in drei Unterarten. 
Der Schrecken ist die Furcht wegen eines unerwartet und plötzlich 
drohenden Übels. Ähnlich wie die Trauer, bringt er eine Lähmung des 
willkürlichen Bewegungsapparates und einen krampfhaften Zustand der 
gefäßverengenden Muskeln hervor, aber beides in höherem Grade und 
plötzlich. Der Schrecken lähmt den Menschen, macht ihn unbeweglich 
1 Der deutsche Ausdruck Scham wird sowohl für puckor als vereounckis. ge 
braucht. 
^ Die in Klammern befindlichen Zahlen verweisen immer auf ftühere Seiten 
dieses Werkes. Steht im zweiten Band eine I davor, so ist der erste Band gemeint.
	        
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