Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

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1. Teil. 1. Buch. 5. Kap. § 4. Der Zwang. 
Zweiter Grundsatz. Die Furcht vermindert in: allgemeinen 
die Freiheit des Willens, hebt sie aber nicht gänzlich auf, solange sie 
nicht die zur Überlegung nötige Besinnung raubt. 
Die Furcht vermindert die Freiheit, weil sie die Aufmerksamkeit 
des Verstandes aus die Größe des Übels hinlenkt, dadurch den Willen 
gewissermaßen aus seinem Gleichgewichte bringt und nach einer bestimm 
ten Richtung hinneigt. Es kann geschehen, daß die Größe der Furcht 
dem Menschen die Besinnung raubt, dann hört auch die Freiheit auf; 
aber solange dies nicht der Fall ist, beseitigt die Furcht die Freiheit nicht 
gänzlich, weil der Wille trotz der vorhandenen Schwierigkeit der Furcht 
immer noch entgegen handeln kann. 
Aus dieser Lehre ergeben sich folgende wichtige Schlußfolgerungen: 
a) Wer sich aus Furcht zu etwas seiner Natur nach Sündhaftem 
bestimmen läßt, versündigt sich, es sei denn, daß ihn der Schreck um 
die nötige Besinnung gebracht habe. Wer also infolge von schweren 
Drohungen einen Mord, Ehebruch, Meineid usw. begeht, versündigt sich 
schwer, solange er die erforderliche Besinnung hat, obwohl seine Schuld 
geringer ist als die eines andern, der dieselben Verbrechen aus freien 
Stücken begeht, und auch geringer als die Schuld des Urhebers der 
Drohungen. Die Schuld des Pilatus, der Jesus zum Tode verurteilte, 
war groß, aber geringer als die der Juden, die ihn durch Drohungen 
zu diesem Urteile brachten. 
b) Anders ist zu urteilen bei Dingen, die bloß infolge freien Ver 
botes eines Obern böse sind. Auch in solchen Dingen hebt die Furcht 
die Freiheit nicht auf, wohl aber sehr oft die Verpflichtung. Denn 
jeder vernünftige Gesetzgeber richtet seine Gebote nach den Durchschnitts 
kräften seiner Untertanen, verlangt also nichts von ihnen, was dieses 
Kräftemaß überschreitet. Das wäre aber der Fall, wenn er — von 
bestimmten Ausnahmen abgesehen — auch dann die Beobachtung des 
Gesetzes fordern wollte, wenn sie mit schweren Nachteilen verbunden ist. 
§4. Der Zwang. 
Unter Zwang verstehen wir die jemand von außen angetane 
physische Gewalt. Wir handeln dann gezwungen, wenn eine äußere 
Ursache gegen unsern Willen unsere Fähigkeiten und Glieder in Be 
wegung setzt. Wer z. B., von physischer Gewalt genötigt, gegen seinen 
Willen unterschreibt, handelt aus Zwang. Eine solche gezwungene Hand 
lung ist natürlich von dem Opfer des Zwanges nicht gewollt, sie kann 
ihm also auch nicht als seine Handlung zugeschrieben und zur Schuld 
oder zum Verdienst angerechnet werden. Sobald jedoch der Wille auf 
hört, dem Zwang zu widerstreben, ist die Handlung nicht mehr einfach-
	        
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