Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

114 1. Teil. 2. Buch. 2. Kap. Die Glückseligkeit als untergeordneter Endzweck. 
seiner Tätigkeit anzuweisen und ihm die ersorderlichen Mittel zu seinem 
Unterhalt und zur Befriedigung seiner vielgestaltigen leiblichen und gei 
stigen, individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnisse auf den Lebensweg 
mitzugeben. Nun findet der Mensch alles das nur in der sichtbaren Schöp 
fung. Also ist sie für ihn geschaffen. Sie ist ihm als Schauplatz seiner 
Tätigkeit zugewiesen, sie ist das Reich, in dem er als König herrschen 
soll. Damit stimmt die Ansicht aller Menschen überein, wie sie sich im 
praktischen Leben unzweideutig äußert. Überall verfügen die Menschen 
frei zu ihrem Vorteil über die Natur. Ohne Bedenken hauen sie die 
Eichen und Zedern um, töten sie den Löwen wie das Rind, durchwühlen 
sie das Innere der Erde, wo und wie es ihrem Vorteil dienlich ist. So 
benimmt sich nur ein Herr in seinem Eigentum. 
Zweites Kapitel. 
Von der Glückseligkeit, dem untergeordneten Endzweck des Menschen. 
§1. Vorbegriffe. 
Bei den vernunftlosen Lebewesen wird auf das Individuum nur so 
viel Rücksicht genommen, als das Wohl der Art es erheischt. Mit uner 
bittlicher Strenge ist es an den Dienst der Art gekettet, so daß es ge 
wöhnlich abstirbt, sobald es dieser keinen Nutzen mehr bringt. Die Droh 
nen, die ihren Dienst geleistet, werden beseitigt. 
Anders beim Menschen^. Er ist eine Person (S. 36). Deshalb ist er 
nicht einfachhin der Art als Mittel untergeordnet, sondern in gewisser 
Rücksicht Selbstzweck. Zwar ist auch er für Gottes Ehre geschaffen, aber 
der Nutzen soll ihm selbst bleiben. Gleichwie er allein Gott im eigent 
lichen Sinne, durch Anerkennung und Huldigung, verherrlicht: so ist er 
auch allein zur Teilnahme an Gottes Glückseligkeit bestimmt. 
Was versteht man unter Glückseligkeit? Jedermann denkt sich 
darunter einen Zustand, in welchem man von jedem Übel frei und im 
Besitze alles Guten ist. Man kann deshalb die Glückseligkeit einen Zu- 
\ stand vollkommener Befriedigung aller vernünf 
tigen Begehrungen nennen oder mit Boethius* einen durch 
den Besitz alles Guten vollkomm menen Zu st and. 
1 8. T h o m., C. gent. I. 3, c. 113: Creatura rationalis divinae providen- 
tiae substat sicut secundum se gubernata et provisa, non s o 1 u in 
propter speciem ut alias corruptibiles ereaturae. 
2 De consol. phil. 1. 3, pr. 2: Status omnium bonorum congregatione per- 
I fectus. Treffend schildert Cicero die Glückseligkeit in den Worten: Neque ulla 
alia huic verbo, cum beatum dicimus, subiecta notio est, nisi secretis 
malis omnibus cumulata bonorum complexio (Tuscul. 5,10).
	        
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