§ 1. Vorbegriffe. — § 2. Beweise f. d. Best. d. Menschen zur vollk. Glückseligkeit. 1] 5
Zur Glückseligkeit gehört also a) die Abwesenheit jedes Übels, b) der
Besitz alles Guten, das dem natürlichen Streben unserer Natur ent
spricht ^endlich c) die immerwährende Dauer dieses Zustandes, sowie das
Bewußtsein derselben. Denn sobald man fürchten muß, es wieder zu
verlieren, ist es mit dem vollkommenen Glücke aus, weil diese Furcht
selbst ein großes Übel ist und ein großes Übel voraussetzt. Die Glückselig
keit ist im Grunde identisch mit der Vollkommenheit des Menschen, so
fern dieselbe als dauernder Zustand gedacht wird 3 .
Die eben beschriebene ist die v o l l k o m m e n e Glückseligkeit, die auch
einfachhin Glückseligkeit genannt wird. Fehlt von den erforderlichen Be
dingungen die eine oder andere, so ist die Glückseligkeit eine unvoll
kommene.
In der Glückseligkeit ist zu unterscheiden: der Gegenstand oder
das Gut, durch dessen Besitz jemand glücklich wird (objektive Glückselig
keit), und der Besitz dieses Gegenstandes (subjektive Glückseligkeit).
Man unterscheidet ferner eine natürliche und übernatür
liche Glückseligkeit. Die natürliche Glückseligkeit ist jene, die den
natürlichen Kräften und Bedürfnissen des Menschen entspricht; die ü b e r -
natürliche geht über dieses Maß hinaus. Der Christ weiß aus der
Offenbarung, daß alle Menschen durch Gottes freie Güte zu einer viel
höheren Glückseligkeit berufen sind, als ihnen von Natur aus gebührt.
Diese übernatürliche Glückseligkeit enthält selbstverständlich die natür
liche in eminenter Weise, wie etwa ein Goldstück eine Kupfermünze. Wir
Der hl. Augustin nennt die Glückseligkeit plsnitndo oinniuin rernrn optan-
darum (De civit. Dei 1. 5. init.). Nach Aristoteles (Ethic., I, 1, 1094) ist
die Glückseligkeit das höchste Ziel aller Handlungen, das wir nur um seiner selbst
willen erstreben und das der Grund ist, uni dessentwillen wir alles übrige begehren.
Der hl. Thomas sagt von der Glückseligkeit: Nihil aliud sub nomine beatitu-
dinis intellegitur, nisi bonum perfectum intellectualis creaturae, cuius est
suam sufficientiam eognoscere in bono quod habet (S. th. 1., q. 26, a. 1).
1 Die Abwesenheit jedes eigentlichen Übels hängt mit dem Besitz alles Guten
notwendig zusammen. Denn solange uns ein Gut fehlt, das uns irgendwie zur
vollen Befriedigung notwendig ist, leiden wir noch unter einem Übel.
* „Ein glücklicher Mensch ist noch lange kein vollkommener Mensch", so wendet
man ein. Versteht man unter dem glücklichen Menschen den vollständig
Glücklichen, so ist der Glückliche notwendig auch sittlich vollkommen. Denn wie
könnte der wahrhaft glücklich sein, dem die höchsten Güter, die Tugenden, fehlen?
Versteht man unter dem glücklichen Menschen den unvollständig Glück
lichen, wie man ihn Wohl auf Erden antreffen kann, so ist zu unterscheiden. Es
kann jemand viele irdische Güter und Vorzüge besitzen, auch bis zu einem gewissen
Grade und zeitweilig sich glücklich fühlen und nach menschlichem Urteil für glück
lich gelten, ohne die sittlichen Tugenden zu besitzen; aber wahrhaft glücklich zu
nennen ist er nicht. Wahrhaft glücklich auf Erden ist nur, wer in seinen sittlichen
Tugenden das sichere Unterpfand des vollkommenen Glückes in einem besseren Jen
seits besitzt.
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