Full text: Allgemeine Moralphilosophie. (01)

118 1- Teil. 2. Buch. 2. Kap. Die Glückseligkeit als untergeordneter Endzweck. 
nisse jagt? Es ist der allen angeborne Trieb nach vollkommenem Glückt 
Jeder sucht zwar sein Glück in etwas anderem, aber in dem allgemeinen 
Wunsche, glücklich zu werden, kommen alle überein. „Glücklich zu sein", 
sagt der h l. A u g u st i n, „ist ein so großes Gut, daß sowohl die Guten 
als die Bösen danach verlangend" Denn auch der Böse sucht schließlich 
durch seine Missetaten die ungeregelten Begierden seines Herzens zu be 
friedigen. Jeder braucht nur sein eigenes Herz zu befragen, und er wird 
finden, daß er von Natur unwillkürlich Schmerzen, Krankheiten, Ver 
achtung flieht, dagegen nach Wohlsein, Freude, Frieden und Trost ver 
langt. Wie die Pflanze nach dem Lichte, strebt das menschliche Herz nach 
voller, ungetrübter, dauernder Freude, d. h. nach vollkommenem Glück. 
Wie oft entringt sich der Brust des Menschen der sehnsuchtsvolle Ruf: 
„Ach, ich bin des Treibens müde! 
Was soll all der Schmerz und Lust? 
Süßer Friede, 
Komm, ach komm in meine Brust!" (Goethe.) 
Die Allgemeinheit dieser Tatsache des Strebens nach vollem Glück 
läßt nicht daran zweifeln, daß wir es hier mit einem Naturtrieb zu 
tun haben. Wie wir aus der Tatsache, daß alle Menschen nach Speise 
verlangen, auf einen Naturtrieb schließen, so können wir auch aus dem 
allgemeinen Sehnen und Streben nach Glück folgern, daß dasselbe in 
einem Naturtrieb begründet ist. 
c) Wir können uns endlich auf die übereinstimmende An 
sicht aller philosophischen Schulen berufen. Wie weit die 
Philosophen sonst auseinandergehen, in der Annahme des Glückseligkeits 
triebes kommen sie alle überein. A r i st o t e l e s, der in seinen Unter 
suchungen von sichern Erfahrungstatsachen ausgeht, nimmt im ersten 
Kapitel seiner Nikomachischen Ethik den Glückseligkeitstrieb zum Aus- 
1 Deshalb nennt derhl. Thomas (8. th. 1, 2, q. 1, a. 6) das Streben nach 
Glückseligkeit die Wurzel aller Willensbetätigungen. Denn was immer der Wille 
erstrebt, begehrt er deshalb, weil und insofern es ihm gut ist, und weil es seinen 
Durst nach dem Guten in etwa befriedigt. 
2 Enarr. in Ps. 118, sermo 1. Derselbe h l. Augustin erzählt (Dg Trinit. 
1. 13, c. 3), ein Schauspieler habe einst öffentlich im Theater erklärt, er werde bei 
der nächsten Vorstellung jedem seiner Zuhörer sagen, wonach er verlange. Als nun 
am bestimmten Tage sich eine große Menge Neugieriger eingefunden, trat der 
Schauspieler vor sie hin und sprach: „Was ihr alle verlangt, ist, wohlfeil zu kaufen 
und teuer zu verkaufen." Der hl. Augustin mißbilligt diese Antwort ebenso 
wie die Behauptung des E n n i u s, alle Menschen wollten gelobt sein. „A b e r", 
fährt er fort, „hätten beide gesagt: glücklich wollt ihr alle sein, 
so hätten ihnen alle bei einem Einblick in ihr Inneres zu- 
st i m m e n müsse n".
	        
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