§2. Beweise für die Bestimmung des Menschen zur vollkommenen Glückseligkeit.]. 19
gangspunkt seiner ganzen Theorie. Er bezeichnet es als offenkundig, daß
alle nach vollkommenem Glücke strebend Plato kommt in seinen Zwie
gesprächen sehr häufig auf dieselbe Tatsache zurück, so namentlich im
„Symposion", „Gorgias" und im „Staat". Cicero wollte im „Hor-
tensius" von einer völlig unerschütterlichen Grundlage ausgehen, an der
niemand zweifeln könne, und als eine solche Grundlage betrachtete er
das Verlangen aller Menschen, glücklich zu sein". Selbst die sonst allen
Rücksichten auf Befriedigung so abholden Stoiker bezeichnen die Glück
seligkeit als das ethische Ziel des Menschen^. Ihnen folgt der Stoiker der
Neuzeit. „Glücklich zu sein", meint Kant^, „ist notwendig das
Verlangen jedes vernünftigen, aber endlichen Wesens und also ein
unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begeh-
rungsvermögens." Daß das ganze Heer der Eudämonisten,
welche die größtmögliche Glückseligkeit als den obersten Maßstab des Sitt
lichen hinstellen, derselben Ansicht huldige, braucht kaum erwähnt zu
werden. Auch der Vater des modernen Pessimismus, A. Schopen
hauer^, bekennt: „Der Mensch will unbedingt sein Dasein erhalten,
will es von Schmerzen... unbedingt frei, will die größtmögliche Summe
von Wohlsein und will jeden Genuß, zu dem er fähig ist."
Mit Recht sagt deshalb H. S p e n c e r : „Keine Schule also kann sich
dem entziehen, als höchstes moralisches Ziel einen begehrenswerten Ge
fühlszustand hinstellen, mit was für Namen immer derselbe bezeichnet
werden mag: Befriedigung, Freude, Seligkeit"."
1 "Oxi n'ev ovv rov r sv £fjv xai rrjs svdcufiovlas irpievxcu ixdvxes, cpavegov. Polit.
1. 7, c. 13, 1331 b, 39.
2 S. August, De Trinit. I. 13, 4: Beati certo omnes esse volumus.
3 D i o g. L a e r t. 7, 127.
4 Kritik der Praktischen Vernunft, 123. An einer andern Stelle (ebd., 139) be
hauptet er: „Ein Gebot, daß jedermann sich selbst glücklich zu machen suchen sollte,
wäre töricht. Denn man gebietet niemals jemand das, was er schon unausbleib
lich will."
3 Die beiden Grundprobleme der Ethik, II, 196, § 14. Ähnlich sagt E. v.
Hartmann: „Was der Mensch ohne alle Reflexion ohne weiteres will, ist immer
und überall die Lust (?); sobald er sich darüber besinnt, was er denn eigentlich wolle,
so erkennt er, daß es eine möglichst vielseitige, seine Natur erschöpfende und mög
lichst dauernde Lust sei, d. h. die Glückseligkeit oder die Eudämonie" (Das
sittliche Bewußtsein, 20).
3 Tatsachen der Ethik, Stuttgart 1879, 50. K ö st l i n (Geschichte der Ethik,
I [1887], 18) sagt: „Es gibt ein unbedingtes Bedürfnis für den Men
schen, daß es ihm objektiv wohl, gut, glücklich ergehe, und daß er subjektiv das
Gefiihl des Wohlseins, der Zufriedenheit mit dem Dasein habe... Dieses Be
dürfnis ist das A und O alles menschlichen Begehrens, Seh-
nens, Denkens, Höffens: es ist nicht ein willkürliches, sondern ein dem
Menschen durch seine Natur aufgedrungenes ,Problem', von welchem er
nicht absehen kann und nicht absehen soll." Ähnlich E. Zeller, Vorträge und